LG Hamburg, Az.: (33) Qs 601/88
Beschluss vom 29.08.1988
Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluß des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 1988 (215 – 345/88) aufgehoben.
Dem Betroffenen wird gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 7. Juni 1988 (215 – 345/88) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf seine Kosten (§ 473 VI StPO) bewilligt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Einspruch an das Amtsgericht Hamburg Abt. 215 zurückverwiesen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Durch den angefochtenen Beschluß hat das Amtsgericht einen Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Urteil vom 7. Juni 1988 zurückgewiesen. Zum Erlaß dieses Urteils ist es wie folgt gekommen:
Die Hauptverhandlung vom 3. Juni 1988, in der der Betroffene und sein gewählter Verteidiger H. anwesend waren, ist auf Antrag des Verteidigers unterbrochen und Fortsetzung der Verhandlung auf den 7. Juni 1988 anberaumt worden. Zu diesem Termin sind der Betroffene und sein Verteidiger mündlich vor dem Protokoll geladen worden. Anschließend ist der Betroffene vom persönlichen Erscheinen entbunden worden. Demgemäß ist er zu dem Fortsetzungstermin vom 7. Juni 1988 nicht erschienen. Auch der Verteidiger des Betroffenen ist zu diesem Termin nicht erschienen. Das Amtsgericht hat sodann in Abwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verhandelt, weiteren Beweis erhoben und gegen den Betroffenen durch das Urteil vom 7. Juni 1988 eine Geldbuße von DM 50,– festgesetzt.
Nach Auffassung der Kammer ist dem Betroffenen unter den gegebenen Umständen in entsprechender Anwendung von §§ 74 I OWiG, 235 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen dieses Urteil zu gewähren.
Es muß davon ausgegangen werden, daß der Verteidiger des Betroffenen, der im ersten Hauptverhandlungstermin vom 3. Juni 1988 anwesend war und ausdrücklich Vertagung beantragt hat, damit noch ein weiterer Zeuge gehört werden konnte, zu dem Fortsetzungstermin vom 7. Juni 1988 erscheinen wollte. Sein Nichterscheinen beruhte, wie er vorgebracht und durch anwaltliche Versicherung bekräftigt hat, darauf, daß er sich über den Terminstag geirrt und versehentlich angenommen hat, daß dieser erst 1 Woche später stattfinden solle. Dieses Versäumnis des Verteidigers braucht der Betroffene sich nicht zurechnen zu lassen. Er, der selbst vom persönlichen Erscheinen entbunden war, durfte sich darauf verlassen, daß sein Verteidiger ihn auftragsgemäß vertreten werde, was ohne sein Zutun unterblieben ist. Ein Mitverschulden des Betroffenen am Ausbleiben des Verteidigers läßt sich nicht feststellen. Für das Verschulden des Verteidigers hat der Betroffene im Rahmen des § 44 StPO nicht einzustehen (Kleinknecht/Meyer, 38. Auflage, Rz 18 zu $ 44 StPO).
Die Vorschrift des § 235 StPO gilt zwar dem Wortlaut nach nur für die Fälle des § 232 StPO, bei denen ein eigenmächtiges Fernbleiben des Angeklagten vorausgesetzt wird. Das trifft hier, wo nicht der Betroffene, sondern sein Verteidiger unentschuldigt ferngeblieben ist, nicht zu. Für den Betroffenen stellte sich die Situation jedoch nicht anders dar, als wenn er selbst den Termin hätte wahrnehmen wollen und durch von ihm nicht zu vertretenden Umstände daran gehindert worden wäre. Es erscheint deshalb geboten, ihm auch in diesem Falle in sinngemäßer Anwendung von § 235 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das in Abwesenheit ergangene Urteil zu gewähren (vgl. Löwe/Rosenberg, 24. Auflage, Rz. 3 zu § 235 StPO, LG Frankfurt N/W 54, 167; a.A. Karlsruhe Kommentar, 2. Auflage, Rz. zu § 235 StPO.
Soweit durch die Gewährung der Wiedereinsetzung die Wiederholung einer umfangreichen Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme erforderlich wird, ist darauf hinzuweisen, daß dieses Ergebnis hätte vermieden werden können, wenn das Amtsgericht sich bei Nichterscheinen des Verteidigers telephonisch mit dessen Büro in Verbindung gesetzt hätte, zumal bei einer nur mündlich erfolgten Ladung in verstärktem Maße die Möglichkeit eines Irrtums besteht.