OVG Lüneburg – Az.: 12 MC 93/19 – Beschluss vom 03.07.2019
Auf den Antrag der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover – 7. Kammer – vom 12. März 2019 geändert und der Antrag des Antragsgegners auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten dieses Abänderungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Abänderungsverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Beschluss vom 12. März 2019 (- 7 B 850/19 -, juris) hat das Verwaltungsgericht der damaligen Antragsgegnerin und nunmehrigen Antragstellerin nach § 123 VwGO vorläufig untersagt, zwischen den Anschlussstellen D. und E. auf der B 6 in B-Stadt mittels sog. „Section Control“ das amtliche Kennzeichen eines jeden vom damaligen Antragsteller und jetzigen Antragsgegner geführten Fahrzeugs zu erfassen und zu verarbeiten. Ausschlaggebend dafür war die Annahme, dass die genannten Maßnahmen einen Eingriff in das Grundrecht des Antragsgegners auf informationelle Selbstbestimmung darstellen, für den es (damals) an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage mangelte. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde hat der Senat durch Beschluss vom 10. Mai 2019 zurückgewiesen (- 12 ME 68/19 -, juris). Parallel zu seinem Beschluss hatte das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 12. März 2019 (- 7 A 849/19 -) der Unterlassungsklage des Klägers stattgeben. Die Antragstellerin hat dagegen die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt, die beim Senat unter dem Aktenzeichen 12 LC 79/19 weiter anhängig ist.
Mit ihrem am 29. Mai 2019 beim Senat eingegangenen Änderungsantrag beruft sich die Antragstellerin auf eine sie begünstigende nachträgliche Änderung der Rechtslage. Denn am 24. Mai 2019 sei § 32 Abs. 7 NPOG in Kraft getreten. Er enthalte die vom Verwaltungsgericht für erforderlich erachtete spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. § 32 Abs. 7 NPOG sei formell und materiell verfassungskonform. Zwar sei noch nicht abschließend geklärt, auf welche Kompetenzmaterie die in Rede stehende Abschnittskontrolle zu stützen sei. Sie verfolge vorrangig den Zweck, Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bereits zu verhüten, und stelle sich damit hinsichtlich ihres ersten, hier umstrittenen Teils nicht als Strafverfolgung oder Strafverfolgungsvorsorge, sondern als Überwachung des Straßenverkehrs dar. Weder mit dem Erlass des Straßenverkehrsgesetzes noch mit dem der Straßenverkehrsordnung habe der Bund insoweit jedoch von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 Abs. 1 GG abschließend Gebrauch gemacht. Den damit offenstehenden Spielraum habe das Land Niedersachsen wahrgenommen; hilfsweise habe es von seiner originären Kompetenz zur allgemeinen Gefahrenabwehr nach Art. 70 GG Gebrauch gemacht. Materiell-rechtlich rechtfertige der angestrebte Schutz von Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer den allenfalls geringfügigen Eingriff in ihre Grundrechte. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 32 Abs. 7 POG seien auf dem in Rede stehenden Streckenabschnitt gegeben. Errichtung und Betrieb der Testanlage seien zudem verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei.
Der Antragsgegner tritt dem Änderungsverlangen entgegen.
Er hält § 32 Abs. 7 NPOG für verfassungswidrig. Die Abschnittskontrolle sei als einheitlicher und zwingender Bestandteil eines „repressiven Bußgeldverfahrens“ bzw. als Maßnahme der Verkehrsüberwachung zu verstehen, für die dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zustehe. Materiell-rechtlich sei § 32 Abs. 7 NPOG zu unbestimmt. Denn er grenze die so zu überwachenden Straßenabschnitte nicht hinreichend ein und enthalte keine näheren Angaben über das „Kenntlichmachen“ der Überwachung.
Jedenfalls bezogen auf den in Rede stehenden Einsatzort sei die Abschnittskontrolle zudem nicht erforderlich, da sie die große Mehrzahl der sich rechtskonform verhaltenden Verkehrsteilnehmer erfasse und im Übrigen der Einsatz herkömmlicher Überwachungsanlagen ausreiche.
Sollte gleichwohl noch eine Abwägung geboten sein, so müsse diese zu seinen und der „mehreren Millionen Verkehrsteilnehmer“ in gleicher Lage ausfallen.
Die Beigeladene zu 1) hat sich nicht am Verfahren beteiligt, die Beigeladene zu 2) darauf verwiesen, dass zwar nunmehr mit § 32 Abs. 7 NPOG eine grundsätzlich geeignete Eingriffsgrundlage vorhanden sei, es aber noch an einer förmlichen Information nach § 50 NDSG entsprechend Art. 13 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2016/680 mangele. Da dem Antragsgegner allerdings durch dieses Verfahren die zu übermittelnden Informationen im Wesentlichen bekannt gegeben worden seien, sei der Anordnungsgrund entfallen.
II.
Der Änderungsantrag der Antragstellerin hat Erfolg.
Auch wenn in die Verweisung des § 123 Abs. 3 VwGO der § 927 ZPO nicht eingeschlossen ist, der im Zivilprozess „die Aufhebung des Arrestes wegen veränderter Umstände“ regelt, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine solche Änderung auch bezogen auf eine (erlassene) einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO möglich ist (vgl. auch § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG: „Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO“), und zwar vorzugsweise in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 7 VwGO (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 30.5.2018 – 8 ME 3/18 -, juris, Rn. 59, und v. 24.4.2013 – 4 MC 56/13 -, juris, Rn. 5, Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl., § 123, Rn. 77; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl., § 123, Rn. 35 (Fn. 110), jeweils m. w. N.).
Der Senat ist nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO analog als Gericht der Hauptsache zur Entscheidung über den Änderungsantrag berufen. Der Antragstellerin steht nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog auch ein Anspruch auf eine erneute inhaltliche Überprüfung des vorhergehenden Beschlusses des Verwaltungsgerichts zu. Denn bei dem Erlass und Inkrafttreten des § 32 Abs. 7 NPOG (selbst) nach der Entscheidung durch den Senat handelt es sich um „veränderte Umstände“, die im Hinblick auf den im Hauptsacheverfahren für die Entscheidung über die Unterlassungsklage maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung auch erheblich sind. Ist demnach analog § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO eine erneute Sachentscheidung über den Antrag nach § 123 VwGO angezeigt, so bezieht sich diese allein auf die Fortdauer der im vorausgehenden Verfahren getroffenen einstweiligen Anordnung, nicht aber auf deren davon unberührt bleibende ursprüngliche Richtigkeit.
Da aus den folgenden Gründen der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erforderliche Anordnungsanspruch (vgl. Senatsbeschl. v. 7.9.2017 – 12 ME 249/16 -, juris, Rn. 89) nicht mehr gegeben ist, ist dem Änderungsantrag der Antragstellerin zu entsprechen.
Das Verwaltungsgericht hat den Anordnungsanspruch mit der Begründung bejaht, der Antragsgegner könne von der Antragstellerin verlangen, die Abschnittskontrolle auf der in Rede stehenden Strecke zu unterlassen. Denn diese Kontrolle greife in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, ohne dass dies von einer erforderlichen Ermächtigungsgrundlage abgedeckt wäre.
Die – zumindest hilfsweise von der Antragstellerin in diesem Verfahren erneut in Zweifel gezogene (ebenso Müller, NZV 2019, 279, 282 f.; dem Verwaltungsgericht hingegen zustimmend etwa: Rachut/Girbinger, jurisPR-ITR 10/2019 Anm. 3) – Richtigkeit der erstgenannten Annahme ist in diesem Änderungsverfahren nicht zu hinterfragen. Zwar steht dem nicht die nur für das Beschwerdeverfahren geltende Beschränkung auf die fristgerecht dargelegten Gründe nach § 146 Abs. 4 VwGO entgegen. Ob dafür aber die Begrenzung in § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO insoweit eingreift, weil bezogen auf die Annahme eines Grundrechtseingriffs keine veränderten Umstände vorliegen, muss nicht geklärt werden.
Denn jedenfalls liegt nunmehr mit § 32 Abs. 7 NPOG eine den Eingriff legimitierende und damit den Unterlassungsanspruch des Antragsgegners ausschließende gesetzliche Eingriffsermächtigung vor.
Die vom Antragsgegner erhobenen Einwände gegen die Verfassungskonformität dieser gesetzlichen Neuregelung greifen aus den folgenden Gründen nicht durch.
Zu dem Prüfungsmaßstab in einem Eilverfahren, wie hier, hat der 7. Senat des erkennenden Gerichts (Beschl. v. 13.9.2017 – 7 ME 77/17 -, juris, Rn. 5) ausgeführt:
„Im Eilverfahren sind an die Nichtanwendung eines Gesetzes im formellen Sinn durch das Fachgericht wegen Annahme seiner Grundgesetzwidrigkeit mit Blick auf das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts (Art. 100 Abs. 1 GG) und des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes (Art. 54 Nr. 4 Nds. Verf) hohe Anforderungen zu stellen. Bei förmlichen Gesetzen fehlt den Fachgerichten zwar nicht die Prüfungskompetenz, sie haben aber keine Verwerfungskompetenz, sondern sind zur Vorlage jedenfalls im Hauptsacheverfahren verpflichtet. Das Fachgericht darf Folgerungen aus der von ihm angenommenen Verfassungswidrigkeit erst ziehen, wenn diese vom Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG festgestellt ist. In Eilverfahren gerät die entsprechende Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG allerdings in Konflikt mit der Pflicht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG. Vorläufiger Rechtsschutz kann daher unter Umständen auch ohne die im Hauptsacheverfahren erforderliche Vorlage gewährt werden, wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.6.1992 – 1 BvR 1028/91 -, juris LS 2 u. (Kammer-) Beschl. v. 15.12.2011 – 2 BvR 2362/11 -, juris Rn. 5; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 123 Rn. 13 ff.; Eyermann/Happ, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 Rn. 57; Posser, VwGO, 1. Aufl. 2008, § 123 Rn. 163 ff.; Bader u. a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 80 Rn. 95; krit. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Loseblatt, § 123 Rn. 127 ff.). Die obergerichtliche Rechtsprechung sieht dies aber nur in engen Grenzen als angängig an; die „Selbstermächtigung“ des Gerichts zur Verwerfung und Nichtanwendung einer als verfassungswidrig erkannten Norm im Eilverfahren muss die Ausnahme und auf Fälle evidenter Verfassungsverstöße beschränkt bleiben (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 21.2.2013 – 2 NB 20/13 -, juris; Beschl. v. 21.12.2006 – 2 NB 347/06 -, OVGE 50, 402; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 10.10.2001 – 3 NC 150/00 -, NVwZ-RR 2002, 747).“
Ob dieser Maßstab für die vorläufige Nichtanwendung von förmlichen Gesetzen in verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren vorliegend wegen der faktischen Wirkungen der Entscheidung – die streitige Abschnittskontrolle auf der B 6 stellt, soweit ersichtlich, den gegenwärtig und auf absehbare Zeit einzigen Anwendungsfall des § 32 Abs. 7 NPOG dar und ist als Folge der erstinstanzlichen Entscheidung ganz eingestellt worden – noch weiter zu verschärfen und an die Voraussetzungen anzugleichen ist, die das Bundesverfassungsgericht für die vorläufige Aussetzung eines Gesetzes formuliert hat (vgl. etwa Beschl. v. 20.3.2018 – 2 BvR 1266/17 -, juris, Rn. 20), muss nicht geklärt werden. Denn es bestehen schon keine erheblichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 32 Abs. 7 NPOG.
Dies gilt zunächst in formeller Hinsicht, wobei insoweit nur Anlass zu Ausführungen hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Landes besteht. Wie die Antragstellerin zutreffend ausgeführt hat, ist zwar die Zuordnung der Abschnittskontrolle als neuartige Form der Geschwindigkeitsüberwachung zu einer Gesetzgebungsmaterie noch nicht geklärt; erörtert wird neben der Qualifikation als Teil des Strafverfahrens- (oder genauer des Ordnungswidrigkeitenrechts, da eine Geschwindigkeitsüberschreitung in der Regel „nur“ eine Ordnungswidrigkeit darstellt) auch eine Einordnung als Maßnahme der Strafverfolgungsvorsorge, des Straßenverkehrsrechts oder des sonstigen allgemeinen Gefahrenabwehrrechts. Von praktischer Bedeutung für dieses Verfahren ist die richtige Zuordnung aber nur dann, wenn damit auch eine Gesetzgebungskompetenz des Landes ausgeschlossen ist. Um einem bei dem Antragsgegner anklingenden Missverständnis entgegenzutreten, ist darauf hinzuweisen, dass dies nicht bereits dann der Fall ist, wenn es sich um eine Sachmaterie handelt, die (gemäß Art. 74 GG) in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt. Nach Art. 72 Abs. 1 GG besteht auch insoweit eine Sperrwirkung von Bundesgesetzen gegenüber den Ländern nur dann, „solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz durch Gesetz Gebrauch gemacht hat“; im Übrigen verbleibt den Ländern nach der Grundnorm des Art. 70 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz.
Soweit § 32 Abs. 7 NPOG also dazu dient, Geschwindigkeitsüberschreitungen zu verhüten, ist die landesrechtliche Gesetzgebungskompetenz ohne weiteres gegeben. Denn die Gesetzgebungsbefugnis der Länder für die Gefahrenabwehr betrifft nicht nur die Abwehr selbst, sondern auch vorgelagerte Maßnahmen zu deren Verhütung oder zur Vorbereitung von Maßnahmen, die der späteren Gefahrenabwehr dienen. Sie schließt damit auch Vorfeldmaßnahmen speziell der Verhütung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ein (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.7.2005 – 1 BvR 668/04 -, juris, Rn. 93 ff.). Insoweit besteht schon keine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, d. h. für das gerichtliche Verfahren unter Einschluss des Strafverfahrens (vgl. Schriftlicher Bericht zum NPOG, LT-Drs. 18/3723, S. 41).
Sollte die Abschnittskontrolle – entgegen des Vorbringens des Landes – daneben (gleich-) oder gar vorrangig als Maßnahme der Straf- bzw. Ordnungswidrigenverfolgungsvorsorge einzuordnen sein, so ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Bund von seiner vorgenannten konkurrierenden Kompetenz jedenfalls hinsichtlich von Vorsorgemaßnahmen durch offene Überwachung des öffentlichen Raums, wie hier, nicht abschließend und die Länder verdrängend Gebrauch gemacht hat insbesondere nicht in der Strafprozessordnung (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.1.2012 – 6 C 9/11 -, juris, Rn. 35 f.).
Gleiches gilt zwar wohl nicht für die Verfolgung von Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten. Entgegen des Vorbringens des Antragsgegners sind die hier umstrittenen Teile der Abschnittskontrolle bis zur Anfertigung des zweiten Fotos (vgl. insoweit die zusammenfassende Ablaufdarstellung im Senatsbeschl. vom 10.5.2019 – 12 ME 68/19 -, juris, Rn. 2) aber eigenständig zu beurteilen und können nach wohl einhelliger Ansicht (vgl. neben dem o. a. Schriftlichen Bericht, S. 40, schon Arzt/Eier, NZV 2010, 113, 117, und jüngst etwa Brenner, DAR 2019, 243 f.) nicht als Bestandteil einer einheitlichen repressiven Maßnahme gegenüber vermeintlichen Verkehrssündern, d. h. als Maßnahme der Strafverfolgung angesehen werden. Denn bis dahin werden die Daten aller die Strecke passierenden Fahrzeuge erfasst, und es besteht bei Einfahrt in die überwachte Strecke ersichtlich nicht der für ein Ermittlungsverfahren notwendige Anfangsverdacht einer Geschwindigkeitsüberschreitung gegenüber allen Verkehrsteilnehmern oder auch nur einer erheblichen Anzahl unter ihnen.
Soweit schließlich eine Zuordnung der Abschnittskontrolle als Maßnahme des Straßenverkehrsrechts in Betracht kommt, ist der Antragstellerin (ebenso Müller, NZV 2019, 279, 283) und dem Gesetzgeber (vgl. nochmals den Schriftlichen Bericht, S. 41) darin zu folgen, dass der Bund von dieser Befugnis nicht erkennbar abschließend Gebrauch gemacht hat, insbesondere nicht durch die – bislang nicht umgesetzten – Verordnungsermächtigungen in § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG. Dafür spricht verstärkend, dass der Bund auch die herkömmlichen Überwachungsmethoden nicht geregelt, sondern den Ländern überlassen hat, ohne dass hiergegen – soweit ersichtlich – bislang in der Rechtsprechung Einwände erhoben worden sind. Eine nähere Auseinandersetzung mit der abweichenden Ansicht von Brenner (zuletzt DAR 2019, 241, 244) ist nicht möglich. Denn er stellt lediglich ein „Gebrauchmachen“ des Bundes fest, ohne auf die entscheidende Frage einzugehen, ob dies und weshalb dieses auch abschließend sein soll.
Auch materiell bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 32 Abs. 7 NPOG.
Als (unterstellte) Ermächtigung zu Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist sie insbesondere am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.12.2018 – 1 BvR 142/15 -, juris, Rn. 82, m. w. N.). Sie muss danach einen legitimen Zweck verfolgen, zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein sowie insbesondere im Bereich der Datenverarbeitung zugleich den Grundsätzen der Normenklarheit und Bestimmtheit genügen.
Anlasslose Kontrollen sind damit nicht generell ausgeschlossen (BVerfG, a. a. O., Rn. 94). Wenn polizeiliche Kontrollen an ein gefährliches oder risikobehaftetes Tun beziehungsweise an die Beherrschung besonderer Gefahrenquellen anknüpfen, kann schon darin ein dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügender Grund liegen. Die Rechtfertigung für Kontrollen kann dort bereits an der besonderen Verantwortung der Betroffenen gegenüber der Allgemeinheit anknüpfen und bedarf deshalb eines darüberhinausgehenden Anlasses grundsätzlich nicht. Für automatisierte Kennzeichenkontrollen kommt das etwa in Betracht, wenn mit ihnen Gefahren bekämpft werden, die sich gerade aus dem Betrieb der Kraftfahrzeuge ergeben. Die Lage ist insoweit nicht anders als bei zahlreichen anderen Arten polizeilicher Kontrollmaßnahmen wie bei anlasslos stichprobenhaft durchgeführten Straßenverkehrskontrollen oder anlasslosen Kontrollen in weiten Bereichen etwa des Umwelt- oder Wirtschaftsverwaltungsrechts.
Dem Antragsgegner kann daher nicht in der Annahme gefolgt werden, von Verfassungs wegen müsse die in § 32 Abs. 7 NPOG enthaltene Ermächtigung zur Kennzeichenerfassung und vorübergehenden Speicherung zwecks Verhütung von Geschwindigkeitsüberschreitungen zwingend bereits gesetzlich weitergehend eingegrenzt werden, etwa auf Strecken mit besonderer Unfallträchtigkeit oder einer überdurchschnittlich hohen Quote von Geschwindigkeitsverstößen (vgl. Brenner, DAR 2019, 241, 243). Im Übrigen besteht jedenfalls gegenwärtig auch deshalb kein Anlass für den Landesgesetzgeber, den Anwendungsbereich des § 32 Abs. 7 NPOG zu beschränken, weil nach dem Kenntnisstand des Senats auf der in Rede stehenden Strecke bundesweit erstmals überhaupt eine entsprechende Abschnittskontrolle als Pilotbetrieb erfolgt (vgl. jüngst Kupper, NZV 2019, 233 f., sowie Märtens/Wynands, NZV 2019, 83 ff.) und jegliche Anzeichen für eine flächendeckende Ausdehnung in Niedersachsen als Massenerscheinung fehlen; dies liegt auch angesichts des Aufwands fern. Schließlich ist die Verhältnismäßigkeit der Kontrollen nach allgemeinen Grundsätzen ohnehin im Rahmen der Anwendung sicherzustellen (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 100).
Der weitere Einwand des Antragsgegners, der Einsatz „klassischer“ Messgeräte sei bei gleicher Wirksamkeit weniger eingriffsintensiv, die Abschnittskontrolle deshalb unverhältnismäßig, trifft nicht zu. Dabei wird verkannt, dass die Abschnittskontrolle die Geschwindigkeit nicht nur punktuell, sondern über einen längeren Streckenabschnitt ermittelt und damit nicht nur über eine längere Strecke zur Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit beiträgt, sondern zusätzlich abrupte gefährliche Bremsungen vor dem „Blitzer“ vermeidet (vgl. nochmals den Schriftlichen Bericht, S. 40), also insoweit wirksamer als die bislang übliche Überwachungsmethode ist (ebenso Koehl, SVR 2019, 199 f., vgl. für Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Verfassungsmäßigkeit der nds. Abschnittskontrolle, 5. März 2019, S. 16 f.). Die Antragstellerin beruft sich zudem auf eine angestrebte höhere Akzeptanz unter den Verkehrsteilnehmern. Im Übrigen werden nach § 32 Abs. 7 Satz 2 NPOG bei den in Rede stehenden Teilen der Abschnittskontrolle entgegen des Vorbringens des Antragsgegners keine Daten von dem Fahrer oder gar einem Beifahrer, sondern (zunächst, d. h. präventiv) ausschließlich fahrzeugbezogene Daten erhoben.
Soweit nach dem Bundesverfassungsgericht (a. a. O., Rn. 101) im Übrigen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung gewisse übergreifende Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle folgen, wird diesen Anforderungen an die Transparenz durch die speziellen Regelungen in den Sätzen 2 bis 4 des § 32 Abs. 7 NPOG insbesondere über die Kenntlichmachung der Abschnittskontrolle (Satz 4) sowie die Pflicht, Daten-sätze über sog. Nichttreffer sofort automatisch zu löschen (Satz 3), und durch die ergänzend anzuwendenden allgemeinen datenschutzrechtlichen Regelungen hinreichend Rechnung getragen.
Eine verfassungsrechtliche Grundlage für die Forderung des Antragsgegners, über den bisherigen Inhalt des Satzes 4 hinaus nähere Einzelheiten zur „Kenntlichmachung“ der Abschnittskontrolle gesetzlich vorzugeben, ist nicht ersichtlich. Aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Regelung, die Verkehrsüberwachung in Gestalt der Abschnittskontrolle erkennbar offen durchzuführen, ergibt sich ausreichend deutlich, dass der örtliche Hinweis für den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer wahrnehmbar sein muss. Der vom Antragsgegner gezogene Vergleich zu Verkehrsschildern trägt insoweit schon deshalb nicht, weil es sich bei dem Hinweis nach Satz 4 nicht um den Inhalt eines solchen Verkehrsschildes handelt. Außerdem ist in der neueren bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass selbst (neuartige) Verkehrsschilder nicht stets bundeseinheitlich ausgestaltet sein müssen (Urt. v. 27.2.2018 – 7 C 30/17 -, juris, Rn. 52 ff.).
Da die Staatssprache Deutsch ist (vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl., § 23, Rn. 10; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl., § 23, Rn. 4a), besteht auch nicht die vom Antragsgegner in den Raum gestellte Verpflichtung, entsprechende Hinweisschilder mehrsprachig auszugestalten, zumal ein entsprechendes Schild, soll es schnell und leicht erkennbar sein, ohnehin nicht in einer Mehrzahl auch nur der gebräuchlichsten Sprachen verfasst werden kann (vgl. auch BT-Drs. 19/7094 zu [vermeintlich] mehrsprachigen Schildern auf deutschen Autobahnen).
Zusätzliche Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 32 Abs. 7 NPOG sind von den Beteiligten nicht geltend gemacht worden und drängen sich auch dem Senat nicht auf.
Soweit die Einwände des Antragsgegners (auch) so zu verstehen sind, dass sie auf die fehlende Rechtmäßigkeit gerade der Abschnittskontrolle auf der B 6 beziehen sollen, greifen sie ebenfalls nicht durch.
Wie dargelegt, bedarf eine, zumal eine offene, Überwachung der Einhaltung der Geschwindigkeit auf öffentlichen Straßen keiner besonderen einzelfallbezogenen Rechtfertigung. Im Übrigen hat die Antragstellerin unter Bezug auf die Auswertung von Kupper (NZV 2019, 233 f.) hinreichend deutlich gemacht, dass es auf der ausgewählten Referenzstrecke in der Vergangenheit (und zu ihrem Bedauern nach der vorübergehenden Außerbetriebnahme der Abschnittskontrolle wieder) überdurchschnittlich häufig zu Überschreitungen der Höchstgeschwindigkeit gekommen ist und nach den Auswertungen diese Zahl während des Pilotbetriebs der Anlage signifikant zurückgegangen ist, es sich also danach auch im Einzelfall um eine effektive Maßnahme handelt.
Da jedenfalls dem Antragsgegner die Strecke, auf der die Abschnittskontrolle auf der B 6 erfolgt ist und wiederaufgenommen werden soll, bekannt ist, kann er sich in diesem, auf die (mögliche) Verletzung in eigenen Rechten beschränkten Verfahren nicht erfolgreich darauf berufen, das dort bislang befindliche Hinweisschild werde den Anforderungen des § 32 Abs. 7 NPOG nicht gerecht; es sei zu klein.
Ob und in welcher Form es über die Abschnittskontrolle der von der Beigeladenen zu 2) teilweise noch vermissten allgemeinen datenschutzrechtlichen Informationen nach § 50 NDSG bedarf, ist in diesem Verfahren ebenfalls unerheblich. Denn jedenfalls bei Datenerhebungen und -verarbeitungen, die unabhängig von der Einwilligung des Betroffenen und offen (rechtmäßig) erfolgen, wirken sich etwaige Verletzungen der allgemeinen Informationspflicht auf die Rechtmäßigkeit der Datenerhebung nicht aus (vgl. Schmdit-Wudy, BeckOK Datenschutzrecht, Wollff/Brink, Stand 1.5.2019, Art 13 DS-GVO, Rn. 17 ff.., m. w. N., sowie Senatsbeschl. v. 29.4.2019 – 12 ME 70/19 -, Bl. 4, V. n. b.). Diese Voraussetzungen sind hier bezüglich der Abschnittskontrolle gegeben, da diese nach § 32 Abs. 7 NPOG unabhängig von der Einwilligung des jeweiligen Verkehrsteilnehmers und nach dessen Satz 4 auch offen erfolgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene zu 1) hat sich nicht am Änderungsverfahren beteiligt, die Beigeladene zu 2) es jedenfalls nicht wesentlich gefördert, so dass ihre etwaigen jeweiligen Kosten nach § 162 Abs. 3 VwGO weder dem Antragsgegner noch der Staatskasse aufzuerlegen waren.
Die Streitwertfestsetzung (in gleicher Höhe wie im Ausgangsverfahren, vgl. Senatsbeschl. v. 15.6.2018 – 12 ME 85/18 -, juris, Rn. 18) beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).