OLG Celle, Az: 1 Ss (OWi) 96/16, Beschluss vom 16.06.2016
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 70 € festgesetzt.
Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 1. Juni 2015 um 17:05 Uhr in der Gemarkung Laatzen die B 433 mit einem Pkw. Bei Kilometer 14,4 in Richtung Sehnde ist dort die Geschwindigkeit auf 70 km/h beschränkt. Es handelt sich um eine Örtlichkeit außerhalb geschlossener Ortschaften. Der Betroffene befuhr diesen Bereich mit einer Geschwindigkeit von 95 km/h.
Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da das angefochtene Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Soweit der Betroffene rügt, dass ihm die Messdaten nebst zugehörigem Token trotz entsprechenden Antrages nicht zur Verfügung gestellt worden sind, ist die Verfahrensrüge ordnungsgemäß erhoben worden, weil sie den Senat in die Lage versetzt, zu prüfen, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft. Denn die Rechtsbeschwerde führt aus, dass der Betroffene mehrfach beantragt hat, ihm die Messdatei zugänglich zu machen und dies weder durch die Verwaltungsbehörde noch durch das Gericht erfolgt ist. Dass der Betroffene im Rahmen der Verfahrensrüge nicht dargelegt hat, was er im Fall der Zugänglichmachung der Messdatei geltend gemacht hätte, steht der Zulässigkeit der Verfahrensrüge nicht entgegen. Solche Ausführungen sind dem Betroffenen nicht möglich gewesen. Auch bedurfte es keiner weiteren Darlegung, welche Bemühungen der Betroffene bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge angestrengt hat, um in den Besitz dieser Datei zu gelangen. Zwar sind die insoweit geltenden Grundsätze bei begehrter Einsichtnahme in eine Bedienungsanleitung eines Messgerätes (vgl. dazu OLG Celle, DAR 2013, 283; OLG Braunschweig ZfS 2014, 473; OLG Hamm, VRR 2013 (79); KG DAR 2013, 211) auch auf die Einsichtnahme in Rohmessdaten übertragbar (vgl. OLG Celle, Beschluss des hiesigen 2. Senats für Bußgeldsachen vom 21. März 2016, 2 Ss (OWi) 77/16). Dies gilt jedoch nur für öffentlich zugängliche Quellen, wie sie etwa das Entschlüsselungsprogramm für die Auswertung von Rohmessdaten betrifft. Die Rohmessdaten selbst befinden sich jedoch im alleinigen Besitz der Verwaltungsbehörde, die ungeachtet einer Bitte des Betroffenen und bestätigt durch eine gerichtliche Entscheidung des Amtsgerichts im Vorverfahren nach § 62 OWiG die Herausgabe der Rohmessdaten dem Betroffenen verweigert hat, weshalb eine erneute Bitte unzumutbar und nicht erfolgversprechend erschien (vgl. OLG Oldenburg, DAR 2015, 406).
Ob die Ablehnung des in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Hinweis darauf, der Beweisantrag gehe ins Blaue hinein, weil es für die Fehlerhaftigkeit der Messung keine Anhaltspunkte gebe, die Verletzung rechtlichen Gehörs begründet, konnte vorliegend dahingestellt bleiben. Denn bereits die Entscheidung, dem Betroffenen nicht die Möglichkeit einzuräumen, auf die Rohmessdaten zurückzugreifen, stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Auch wenn die Messdaten nicht Bestandteil der Verfahrensakte sind, müssen sie dem Betroffenen auf dessen Antrag zur Verfügung gestellt werden. Denn nur so wird der Betroffene in die Lage versetzt, die Messung auf ihre Ordnungsgemäßheit zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen. Dass es sich bei der angewendeten Messmethode um ein standardisiertes Verfahren handelt, steht dem nicht entgegen. Gerade weil bei einer solchen Messmethode das erkennende Gericht nur zu einer weiteren Aufklärung und Darlegung verpflichtet ist, wenn sich Anzeichen für eine fehlerhafte Messung ergeben, muss dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet sein, solche Fehler substantiiert vortragen zu können. Hierfür ist er auf die Messdaten angewiesen. Werden diese zurückgehalten, liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.; Cierniak, ZfS 2012, 664). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil nicht auszuschließen ist, dass das Urteil auf diesem Mangel beruht.
III.
Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass im Fall einer erneuten Verurteilung Ausführungen auch zur subjektiven Seite des Tatvorwurfs im Urteil vorzunehmen sind.