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Fahrerlaubnisentziehung – Zeitpunkt des Ergreifens von Maßnahmen nach Tattagsprinzip

Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung: Tattagsprinzip vs. Maßnahmekatalog

Das Verwaltungsgericht Berlin hat in seinem Beschluss vom 09.02.2015 entschieden, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis eines Antragstellers rechtswidrig war. Dies begründet sich darauf, dass der Antragsteller nicht ordnungsgemäß durch alle Stufen des Fahreignungs-Bewertungssystems geführt wurde. Insbesondere wurde das Tattagsprinzip nicht korrekt angewendet, was zu einer unzulässigen Ansammlung von Punkten im Fahreignungsregister führte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 11 L 590.14   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs: Widerspruch des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis hatte aufschiebende Wirkung.
  2. Verfahrenskosten: Der Antragsgegner muss die Kosten des Verfahrens tragen.
  3. Rechtswidrigkeit der Fahrerlaubnisentziehung: Die Entziehung der Fahrerlaubnis war rechtswidrig, da der Antragsteller nicht durch alle Stufen des Fahreignungs-Bewertungssystems geleitet wurde.
  4. Tattagsprinzip: Das Gericht legte das Tattagsprinzip zugrunde, wonach die Punkte nach dem Datum der Begehung der Verkehrsverstöße zu berechnen sind.
  5. Punktesystem: Der Antragsteller hatte unzulässigerweise acht Punkte im Fahreignungsregister angesammelt.
  6. Fehlende ordnungsgemäße Verwarnung: Der Antragsteller erhielt keine ordnungsgemäße Verwarnung, bevor er die acht-Punkte-Grenze erreichte.
  7. Unzulässige Aufforderung zur Führerscheinabgabe: Die Aufforderung zur Führerscheinabgabe war unzulässig, da die Entziehungsentscheidung rechtswidrig war.
  8. Rechtsprechung und Gesetzesänderung: Das Urteil berücksichtigt frühere Rechtsprechung und Änderungen im Straßenverkehrsgesetz.

Die Fahrerlaubnisentziehung erfolgt auf Basis des Tattagsprinzips, abhängig vom Punktestand bei Begehung der letzten relevanten Tat. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch klargestellt, dass dieses Prinzip durch das Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG begrenzt wird. Widerspricht ein Antragsteller der Entziehung, muss die Fahrerlaubnisbehörde bei 8 oder mehr Punkten im Fahreignungsregister handeln. Im Folgenden wird ein konkreter Beschluss beleuchtet, der die Komplexität dieses Themas veranschaulicht.

Fahrerlaubnisentziehung im Fokus: Das Tattagsprinzip als Dreh- und Angelpunkt

Der Fall, der vom Verwaltungsgericht Berlin unter dem Aktenzeichen 11 L 590.14 verhandelt wurde, beleuchtet ein zentrales Thema im deutschen Verkehrsrecht: die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Anwendung des Tattagsprinzips. Im Kern ging es um einen Antragsteller, der Widerspruch gegen den Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten einlegte. Dieser Bescheid hatte seine Fahrerlaubnis entzogen. Der Widerspruch des Antragstellers erhielt aufschiebende Wirkung, und es wurde angeordnet, dass der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens trägt. Der Streitwert wurde auf 5.000 Euro festgesetzt.

Die rechtlichen Grundlagen der Fahrerlaubnisentziehung

Im Mittelpunkt des Falles stand die Frage, ob die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers rechtmäßig war. Die rechtliche Grundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis bildet § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG). Demnach muss die Fahrerlaubnis entzogen werden, wenn sich eine Person als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Eignung wird anhand körperlicher und geistiger Anforderungen sowie der Einhaltung verkehrsrechtlicher Vorschriften und Strafgesetze gemessen. Der Fall des Antragstellers wurde unter dem Fahreignungs-Bewertungssystem, bekannt als „Punktsystem“, beurteilt. Nach diesem System hatte der Antragsteller acht Punkte angesammelt, was grundsätzlich zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen würde.

Problematik im Verfahrensablauf und Anwendung des Tattagsprinzips

Eine wesentliche Wendung im Fall ergab sich aus der Feststellung, dass der Maßnahmekatalog des § 4 Abs. 5 StVG nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden war. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten hatte zwar eine Verwarnung ausgesprochen, aber die Punktezahl hätte nach dem Tattagsprinzip anders berechnet werden müssen. Nach diesem Prinzip, das in § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG festgelegt ist, sind die Punkte nach dem Datum der Begehung der Verkehrsverstöße zu berechnen. Der Antragsteller hätte eine Rückstufung der Punktezahl von acht auf sieben Punkte erhalten müssen, da die zweite Stufe des Maßnahmekatalogs noch nicht ordnungsgemäß ergriffen worden war.

Gerichtliche Entscheidung und ihre Begründung

Das Gericht entschied zugunsten des Antragstellers und stellte fest, dass die Entziehung seiner Fahrerlaubnis rechtswidrig war. Das Gericht betonte, dass der Antragsteller nicht alle Stufen des Fahreignungs-Bewertungssystems durchlaufen hatte und das Tattagsprinzip nichtkorrekt angewendet wurde. Es wurde hervorgehoben, dass eine ordnungsgemäße Punkteberechnung und die Beachtung des Tattagsprinzips essenziell sind, um die Intention des Gesetzgebers – eine stufenweise Warnung und die Möglichkeit zur Verhaltensänderung, bevor die Fahrerlaubnis entzogen wird – zu erfüllen. Die rechtliche Analyse des Falles zeigte auf, dass der Antragsteller durch die verspätete Verwarnung und die unkorrekte Punkteberechnung in seinen Rechten verletzt wurde.

Das Gericht wies auch darauf hin, dass die sonstigen Nebenentscheidungen des angefochtenen Bescheides, einschließlich der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins, ebenfalls rechtswidrig waren. Diese Entscheidungen basierten auf der Annahme, dass die Entziehungsentscheidung rechtmäßig war, was jedoch nicht der Fall war.

Die Kostenentscheidung folgte aus § 154 Abs. 1 VwGO, und die Festsetzung des Verfahrenswertes basierte auf den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen. Es wurde festgestellt, dass im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Hälfte des Streitwerts für ein Klageverfahren anzusetzen ist, was in diesem Fall 10.000 Euro betrug.

Schlussfolgerung und Bedeutung des Urteils

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin stellt einen wichtigen Fall in Bezug auf die Fahrerlaubnisentziehung und die Anwendung des Tattagsprinzips dar. Es unterstreicht die Notwendigkeit einer genauen und gesetzeskonformen Anwendung der Bestimmungen des Fahreignungs-Bewertungssystems. Für Verkehrsteilnehmer und Rechtsanwälte bietet der Fall wichtige Einsichten in die Auslegung und Anwendung verkehrsrechtlicher Vorschriften, insbesondere im Kontext der Punktebewertung und Maßnahmenergreifung. Das Urteil zeigt deutlich, wie entscheidend eine genaue rechtliche Prüfung in solchen Fällen ist und untermauert die Bedeutung des Tattagsprinzips als wesentlichen Bestandteil des deutschen Verkehrsrechts.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Wie wird das Tattagsprinzip im Kontext der Fahrerlaubnisentziehung angewendet?

Das Tattagsprinzip ist ein wesentlicher Bestandteil des Fahreignungs-Bewertungssystems in Deutschland und spielt eine entscheidende Rolle bei der Entziehung der Fahrerlaubnis. Nach diesem Prinzip werden Punkte für Verkehrsverstöße im Fahreignungsregister (früher Verkehrszentralregister) in Flensburg mit der Begehung der Tat, also am Tattag, erfasst. Sobald ein Fahrerlaubnisinhaber insgesamt acht oder mehr Punkte erreicht, gilt er gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen.

Die Anwendung des Tattagprinzips bedeutet, dass die Punkte für einen Verstoß mit der rechtskräftigen Ahndung der entsprechenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit im Register eingetragen werden. Wenn ein Fahrerlaubnisinhaber durch einen neuen Verstoß die Schwelle von 18 Punkten erreicht, werden die im StVG vorgesehenen Maßnahmen, wie Verwarnungen und die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar, durchlaufen.

Allerdings wird das Tattagprinzip durch das Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG begrenzt. Dieses Verwertungsverbot tritt ein, wenn Punkte nach Ablauf der Überliegefrist von einem Jahr nach Eintritt der Tilgungsreife nicht mehr verwertet werden dürfen. In einem solchen Fall müssen die entsprechenden Punkte bei der Berechnung des Punktestandes unberücksichtigt bleiben.

Zusammengefasst bedeutet das Tattagsprinzip, dass für die Entziehung der Fahrerlaubnis die Punkte maßgeblich sind, die zum Zeitpunkt der Begehung der Verkehrsverstöße im Register stehen. Überschreitet ein Fahrer die kritische Punktegrenze, wird ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Dabei müssen jedoch die Regelungen zum Verwertungsverbot beachtet werden, die das Tattagprinzip in bestimmten Fällen einschränken können.

Was sind die rechtlichen Konsequenzen einer nicht ordnungsgemäßen Durchführung des Maßnahmekatalogs im Fahreignungs-Bewertungssystem?

Die rechtlichen Konsequenzen einer nicht ordnungsgemäßen Durchführung des Maßnahmekatalogs im Fahreignungs-Bewertungssystem können vielfältig sein und hängen von der Art des Verstoßes und der spezifischen Situation ab. Das Fahreignungs-Bewertungssystem sieht vor, dass bei Erreichen bestimmter Punktzahlen im Fahreignungsregister Maßnahmen wie Ermahnungen, Verwarnungen und die Anordnung zur Teilnahme an einem Fahreignungsseminar ergriffen werden müssen.

Wird das System nicht korrekt angewendet, etwa indem Maßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt werden, kann dies zu einer fehlerhaften Bewertung der Fahreignung einer Person führen. Im schlimmsten Fall könnte dies bedeuten, dass Fahrerlaubnisinhaber weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen, obwohl sie nach dem Bewertungssystem als ungeeignet gelten würden. Dies könnte die Verkehrssicherheit gefährden und rechtliche Konsequenzen für die zuständigen Behörden nach sich ziehen.

Das Gesetz sieht vor, dass bei Erreichen von acht oder mehr Punkten eine unwiderlegliche Vermutung der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen besteht, was normalerweise zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt. Wird diese Maßnahme nicht umgesetzt, könnte dies rechtliche Auseinandersetzungen nach sich ziehen, insbesondere wenn es zu weiteren Verstößen oder gar Unfällen kommt.

Zudem könnte eine nicht ordnungsgemäße Durchführung des Maßnahmekatalogs bedeuten, dass Betroffene nicht die Möglichkeit erhalten, durch Teilnahme an einem Fahreignungsseminar ihre Punkte zu reduzieren und ihr Verhalten zu verbessern. Dies würde dem Zweck des Systems, die Verkehrssicherheit durch die Erziehung und Rehabilitation von Fahrern zu erhöhen, zuwiderlaufen.

Falls Punkte im Fahreignungsregister fälschlicherweise nicht gelöscht werden, obwohl die Tilgungsfrist abgelaufen ist, dürfen diese nicht mehr verwertet werden und müssen bei der Berechnung des Punktestandes unberücksichtigt bleiben. Eine Missachtung dieser Regelung könnte ebenfalls rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Insgesamt kann eine nicht ordnungsgemäße Durchführung des Maßnahmekatalogs im Fahreignungs-Bewertungssystem zu einer falschen Bewertung der Fahreignung führen, was sowohl für die betroffenen Fahrer als auch für die Allgemeinheit negative Folgen haben kann.


Das vorliegende Urteil

VG Berlin – Az.: 11 L 590.14 – Beschluss vom 09.02.2015

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 3. November 2014 gegen den Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 23. Oktober 2014 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der wörtliche Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23. Oktober 2014 hinsichtlich der angeordneten Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen und hinsichtlich der Anordnung der Festsetzung eines Zwangsgeldes anzuordnen, ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und begründet.

Der Antrag ist nach § 80 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft, weil gemäß § 4 Abs. 9 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die hier streitgegenständliche Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG keine aufschiebende Wirkung haben.

Der Antrag ist begründet, weil das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. In Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung auf der Grundlage einer summarischen Sachprüfung. Die gerichtliche Entscheidung hat sich im Wesentlichen an den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren zu orientieren. Hat er – wie hier – mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.

Nach der – im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen – summarischen Prüfung wird der Widerspruch des Antragstellers Erfolg haben, weil die Entziehung seiner Fahrerlaubnis rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt. Gleiches gilt für die Aufforderung, seinen Führerschein binnen fünf Tagen nach Zustellung des Bescheides vorzulegen.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG ist zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Wann eine fehlende Eignung aufgrund wiederholter Verstöße gegen die die Sicherheit des Straßenverkehrs betreffenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften vorliegt, wird im Grundsatz durch das Fahreignungs-Bewertungssystem in § 4 StVG (sog. „Punktsystem“) geregelt. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG ist ein Fahrerlaubnisinhaber zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet, wenn er wegen verkehrsrechtlicher Auffälligkeiten unter Anwendung des Fahreignungs-Bewertungssystems in der Summe acht oder mehr Punkte angesammelt hat. Dies ist hier bei einer reinen Addition der Verkehrsverstöße unter Anwendung des Punktsystems der Fall, da er mit dem am 6. Mai 2014 begangenen Verkehrsverstoß insgesamt sechs Punkte und durch den bereits am 1. August 2013 begangenen, aber erst am 10. September 2014 im Fahreignungsregister eingetragenen Verkehrsverstoß insgesamt acht Punkte im Rahmen des Punktsystems angesammelt hatte.

Der Maßnahmekatalog des § 4 Abs. 5 StVG ist jedoch nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten hat den Antragsteller mit Bescheid vom 25. Juli 2012 zwar ordnungsgemäß gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F. verwarnt, nachdem er nach dem bis zum 1. Mai 2014 gültigen Punktsystem neun Punkte im Verkehrsregister angesammelt hatte. Damit hatte er nach der Übergangsregelung in § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG mit Inkrafttreten des StVG n. F. am 1. Mai 2014 bereits die erste Stufe des Maßnahmekatalogs nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG (Ermahnung) erreicht, die gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 2 StVG für Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zugrunde zu legen ist. Der Antragsgegner hat jedoch verkannt, dass im vorliegenden Fall eine Rückstufung der Punktezahl von acht auf sieben Punkte gemäß § 4 Abs. 6 Satz 2 StVG geboten gewesen wäre, weil die zweite Stufe des Maßnahmekatalogs (Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) noch nicht ordnungsgemäß ergriffen worden ist. Nach dieser Vorschrift verringert sich der Punktestand auf sieben Punkte, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber acht Punkte nach dem Punktsystem erreicht oder überschreitet, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde (zuvor) eine Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen hat. So liegt der Fall hier, denn der Antragsteller hat eine Verwarnung wegen des Erreichens des Punktestandes von fünf bis sieben Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG erst mit Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 26. August 2014 erhalten. Den zuletzt im Fahreignungsregister eingetragenen Verkehrsverstoß hat er jedoch nach dem hier anzuwendenden Tattagsprinzip, nach dem auf das Datum der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit abzustellen ist (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG), bereits am 1. August 2013 und damit zu einem Zeitpunkt begangen, bevor ihn die Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG erreicht hat.

Nach der Rechtsprechung zur bis zum 1. Mai 2014 gültigen Fassung des Straßenverkehrsgesetzes konnte damit der Sinn und Zweck des Mehrfachtäterpunktsystems nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 StVG, der sicherstellen soll, dass ein Fahrerlaubnisinhaber alle Maßnahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems stufenweise durchlaufen muss, mit den Maßnahmen stufenweise gewarnt wird und die Möglichkeit der Verhaltensänderung erhält, bevor ihm die Fahrerlaubnis entzogen werden kann, nicht greifen. Daher war zur Ermittlung des Punktestandes auf das Tattagsprinzip, nach dem auf das Datum der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit abzustellen ist (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG), zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 – BVerwG 3 C 3.07 – juris, Rdnr. 33; Janker in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. 2014, Rdnr. 35 zu § 4 StVG). Dieser Grundsatz ist auch auf die ab 1. Mai 2014 gültige Fassung des Straßenverkehrsgesetzes anzuwenden (VG Berlin, Beschluss vom 2. Dezember 2014 – VG 11 L 463.14 – juris; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 2 L 703/14 – juris).

Daran ändert auch nichts der Umstand, dass in der ab 5. Dezember 2014 gültigen Fassung des Straßenverkehrsgesetzes § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG eingefügt wurde. Danach erhöhen Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor der Verringerung des Punktestandes wegen einer verspätet ergriffenen Maßnahme begangen worden sind und von denen die Fahrerlaubnisbehörde erst nach der Verringerung Kenntnis erhält, den sich nach der Verringerung ergebenden Punktestand. Damit ist der Gesetzgeber zwar in dem – hier nicht einschlägigen – Sonderfall der Punktereduktion vom Tattagsprinzip abgewichen und lässt danach eine Entziehung der Fahrerlaubnis auch dann zu, wenn sämtliche Verkehrsverstöße vor Zugang der Verwarnung begangen wurden. In der explizit geregelten Konstellation misst demnach der Gesetzgeber den Maßnahmen der ersten und zweiten Stufe keine Warnfunktion zu. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers soll jedenfalls mit der ab 5. Dezember 2014 gültigen Änderung eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zur Punkteberechnung und Warnfunktion der ersten und zweiten Stufe erreicht werden. Denn Fahrzeugführern, die aufgrund einer Anhäufung von Verkehrsverstößen sich als ungeeignet erwiesen haben, soll aus Gründen der Verkehrssicherheit das weitere Führen eines Kraftfahrzeuges zu untersagen sein (vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 9). Bei der neu eingefügten Regelung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG handelt es sich aber um einen nicht verallgemeinerungsfähigen Sonderfall. Einer Auslegung der Regelungen in § 4 Abs. 5 und 6 StVG zum Maßnahmekatalog im Sinne des Willens des Gesetzgebers steht entgegen, dass dieser in der gesetzlichen Regelung keinen Niederschlag gefunden hat. Vielmehr ist in § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG explizit das Tattagsprinzip geregelt. Zudem ergibt die in § 4 Abs. 6 Satz 2 StVG vorgeschriebene Punktereduktion bei verspäteter Ermahnung oder Verwarnung nur dann Sinn, wenn diesen Maßnahmen erzieherische Wirkung gegenüber dem betreffenden Fahrerlaubnisinhaber zukommen soll und ihm damit vor einer Entziehung nochmals die Chance eingeräumt werden soll, durch eine grundlegende Änderung des Fahrverhaltens die Entziehung seiner Fahrerlaubnis abzuwenden. Wenn demgegenüber – wie die Gesetzesbegründung ausführt – diese Maßnahmen in erster Linie Informationszwecken für den Betroffenen dienen würden, bliebe ungeklärt, weshalb Punktetäter allein aufgrund des verspäteten Ergreifens einer Maßnahme eine Punktereduktion erhalten sollten.

Die sonstigen in dem angefochtenen Bescheid getroffenen Nebenentscheidungen sind ebenfalls rechtswidrig. Insbesondere hat der Antragsgegner den Antragsteller zu Unrecht verpflichtet, seinen Führerschein abzuliefern. Diese Verpflichtung bestünde gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV nur dann, wenn die Entziehungsentscheidung rechtmäßig wäre, was hier nicht der Fall ist. Die darauf gerichtete Zwangsmittelandrohung begegnet aus denselben Gründen ebenfalls rechtlichen Bedenken.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 39 ff., 52 f. GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Hälfte des Streitwerts für ein Klageverfahren anzusetzen ist, der 10.000,- Euro betragen würde (für die Fahrerlaubnis der Klassen A und C1E).

 

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