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Fahrerlaubnisentziehung aufgrund Kokainkonsums

VG Bremen – Az.: 5 K 961/21 – Urteil vom 28.11.2022

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Er wurde durch Urteil des Landgerichts Bremen vom 25.02.2020 überwiegend wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 6 Monaten verurteilt, die er derzeit in der Justizvollzugsanstalt … verbüßt. Im Strafverfahren stellte der Kläger einen Beweisantrag, der auf seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB aufgrund eines Kokainkonsums abzielte. Das Landgericht Bremen holte zur Frage einer aufgehobenen oder verminderten Schuldfähigkeit ein psychiatrisches Sachverständigengutachten von Dr. med. … (Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Schwerpunkt Forensische Psychiatrie) ein. Der Sachverständige diagnostizierte bei dem Kläger unter anderem eine Kokainabhängigkeit (ICD-10 F14.2) und Cannabismissbrauch (ICD-10 F12.1).

Nach Anhörung des Klägers entzog das Bürgeramt der Beklagten diesem mit Verfügung vom 01.04.2021, zugestellt am 12.04.2021, die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen und gab ihm auf, den Führerschein spätestens am 3. Tag nach Bestandskraft der Verfügung abzugeben. Für den Fall, dass er diesem Gebot nicht nachkomme, drohte es ihm ein Zwangsgeld von 250 Euro an. Wer Betäubungsmittel nehme oder von ihnen abhängig sei, sei nach Ziffer 9 der Anlage 4 zur FeV zum Führen von Fahrzeugen ungeeignet. Aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts vom 25.02.2020 gingen die Diagnosen Kokainabhängigkeit und Cannabismissbrauch hervor.

Der Kläger hat am 11.05.2021 Klage erhoben. Er bestreite, dass er im Zeitraum vor der Inhaftierung Kokain zu sich genommen habe. Sämtliche Angaben zum Rauschmittelkonsum im Rahmen des Strafverfahrens und dessen Auswirkungen habe er getätigt, um eine verminderte Schuldfähigkeit und damit Vorteile bei der Strafzumessung sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu erreichen. Die Angaben gegenüber dem Sachverständigen seien tatsächlich komplett aus der Luft gegriffen. Er habe sich zu den Fragen ausführlich vorbereitet. Die im Sachverständigengutachten erwähnte Haaranalyse sei im Rahmen der Untersuchungshaft erfolgt. Er habe ausschließlich einmalig Kokain zum Zwecke der Beeinflussung des Ergebnisses der Haaranalyse konsumiert, um dem Ziel einer verminderten Schuldfähigkeit und den damit verbundenen Vorteilen bei der Strafzumessung näher zu kommen. Aus dem Vollzugs- und Eingliederungsplan der Justizvollzugsanstalt Bremen vom 12.01.2021 ergäbe sich, dass er alle Aussagen im Hinblick auf den Betäubungsmittelkonsum auf Anraten zweier Anwälte gemacht habe. Es hätten sich in der Haft keinerlei Anhaltspunkte ergeben, die auf eine Suchtmittelproblematik hinwiesen. Urinkontrollen verliefen negativ ebenso wie die – unabhängig von der Freiwilligkeit – entnommenen Blutproben. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wie er es bei einer Kokainabhängigkeit geschafft haben solle, einen Überblick über die legalen und illegalen Geschäfte zu behalten.

Der Kläger beantragt, die Entziehung der Fahrerlaubnis mit Verfügung vom 01.04.2021 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, das Landgericht Bremen habe nach einer umfangreichen Beweisaufnahme die Kokainabhängigkeit des Klägers festgestellt. Die Angaben des Klägers erschienen wenig glaubhaft. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass es sich um eine Schutzbehauptung handele, um die Entziehung der Fahrerlaubnis zu verhindern. Im Übrigen lasse bei harten Drogen wie Kokain bereits der einmalige Konsum auf die mangelnde Fahreignung schließen. Der Kläger müsse mindestens einmal Kokain konsumiert haben, da das Ergebnis einer Haaranalyse anlässlich der Untersuchungshaft einen positiven Befund erbracht habe.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Gerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsätzen vom 22.09.2022 und vom 01.11.2022 zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die Fahrerlaubnisentziehung ist sowohl formell als auch materiell rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 VwGO). Formelle Fehler sind nicht ersichtlich.

1. Rechtsgrundlage für die Fahrerlaubnisentziehung ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Danach ist demjenigen die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. An der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt es nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis). Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. nur BayVGH, Beschl. v. 03.12.2021 – 11 CS 21.1477 –, juris Rn. 11 m.w.N.; OVG Bremen, Beschl. v. 16.10.2019 – 2 B 195/19 –, juris Rn. 7). Des Nachweises einer Drogenabhängigkeit, eines regelmäßigen Konsums oder auch nur eines Unvermögens zur Trennung von Drogenkonsum und Kraftfahrzeugführung bedarf es nicht (VG Bremen, Beschl. v. 25.03.2022 – 5 V 343/22 –, juris Rn. 16 m.w.N.).

Der Kläger hat jedenfalls einmal bewusst Kokain eingenommen, wie sich aus der im Urteil des Landgerichts vom 25.02.2020 erwähnten Haarprobenanalyse ergibt. Er bestreitet diesen Konsum auch nicht, sondern verweist darauf, dass die Einnahme von Kokain ausschließlich einmalig erfolgt sei, um seinem Ziel, sich Vorteile im Strafverfahren zu verschaffen, näherzukommen. Kokain ist ein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG. Es kann dahinstehen, ob – das Vorbringen des Klägers als wahr unterstellt – in einem solchen Fall nicht von einer zum Drogenkonsum führenden Fehlhaltung und Willensschwäche auszugehen ist (vgl. dazu: VG Bremen, Urt. v. 23.01.2020 – 5 K 740/19 –, juris Rn. 20) und daher eine Ausnahme von dem Regelfall nach Ziffer 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV vorliegen könnte.

Denn angesichts des vom Landgericht Bremen eingeholten Sachverständigengutachtens und dessen eingehende Würdigung durch das Landgericht sowie der weiteren Würdigung des Inhalts der Hauptverhandlung reicht die Behauptung des Klägers, sämtliche Angaben gegenüber dem Sachverständigen seien tatsächlich komplett aus der Luft gegriffen, um eine verminderte Schuldfähigkeit und damit Vorteile bei der Strafzumessung sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu erreichen, nicht aus, um die Annahme eines Kokainkonsums des Klägers zu erschüttern. Der Sachverständige ist ausweislich der Ausführungen des Urteils des Landgerichts vom 25.02.2020 den Angaben des Klägers entsprechend davon ausgegangen, dass dieser im Zeitraum zwischen 2014 und 2018 zunächst täglich 1g und später 2g Kokain auf Feiern zu sich genommen habe, wobei er den Konsum morgens aufgenommen und über den ganzen Tag fortgesetzt habe. Abends habe er Cannabis konsumiert, um die wachmachende Wirkung des Kokains zu antagonisieren und schlafen zu können. Weiter sei der Sachverständige davon ausgegangen, dass der Kläger auch in der Untersuchungshaft gelegentlich Kokain konsumiert habe. Die Angaben würden durch die Ergebnisse einer Haarprobenanalyse gestützt. Der Kläger habe weiter ein hohes Verlangen, Kokain zu konsumieren, eine verminderte Kontrollfähigkeit in Bezug auf Menge, Beginn und Ende des Konsums und eine Toleranzsteigerung und Dosiserhöhung geschildert. Das Landgericht führt auf Seite … seines Urteils sodann wörtlich aus: „Ausweislich der nachvollziehbaren, fundierten und überzeugenden Ausführungen des Sachverständig …, liegt bei dem Angeklagten der Zwang und Drang vor, immer wieder Kokain zu konsumieren.“ Und auf Seite …: „Er (Anm.: der Kläger) habe den Substanzkonsum niemals als Problem erkannt, da dieser zu seinem Lebensstil gehört habe. …Weiterhin habe er auch im hochstrukturierten Bereich der Untersuchungshaft keine Verhaltensänderung an den Tag gelegt und nach eigenen Angaben, soweit es möglich war, weiterhin Suchtmittel konsumiert.“ Auf S. des Urteils setzt sich das Landgericht sodann mit der Erkenntnisgrundlage des Sachverständigen auseinander: Dem Sachverständigen „sind alle Aktenbestandteile (vorwiegend Protokolle der Telefonüberwachung), bei denen es um den Drogenkonsum des Angeklagt … ging, sowie alle Bekundungen der Verfahrensbeteiligten im Rahmen der durchgeführten Hauptverhandlung zur Frage eines möglichen Drogenkonsums des Angeklagten … zur Kenntnis gebracht worden. Er hat den Angeklagten … an zwei Tagen über mehrere Stunden exploriert. Angesichts der umfangreichen Angaben des Angeklagten zu seiner Biographie und zum Drogenkonsum seien nach den Bekundungen des Sachverständigen keinerlei, für die Erstellung des Gutachtens relevante, Fragen unbeantwortet geblieben. Dies zugrunde gelegt hat auch die Kammer keinen Zweifel, dass die Erkenntnisgrundlage des Sachverständigen ausreichend war.“

Soweit sich der Kläger auf Aussagen von Beamten der Staatsanwaltschaft, verschiedenen Polizeibeamten und Mittätern im Strafverfahren beruft, aus denen sich ergäbe, dass diese nicht von einem Drogenkonsum des Klägers und somit von erfundenen Angaben ausgingen, haben diese Aussagen kein anderes Beweisergebnis zur Folge gehabt. Der Kläger setzt insoweit lediglich nach Abschluss des Strafverfahrens eine andere Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Landgerichts. Dieses hat sich maßgeblich auf das eingeholte Sachverständigengutachten und die Angaben des Klägers gestützt.

Insgesamt hat der Kläger keine nachvollziehbaren sowie konkreten und detaillierten Einzelheiten zu seinem behaupteten Vorgehen im Rahmen des Strafverfahrens und der von ihm ebenso behaupteten Täuschung des Sachverständigen gemacht. Soweit er nunmehr vorträgt, er habe in der U-Haft Kontakt mit anderen Insassen mit Therapieerfahrungen gehabt und sich von diesen Unterlagen ausleihen können, um sich gezielt auf die Fragen und Antworten des Gutachters vorzubereiten, sind seine Angaben so vage gehalten, dass keine Veranlassung besteht, die Beweiswürdigung des Landgerichts ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Auch soweit er auf den Vollzugs- und Eingliederungsplan verweist, aus dem sich ergäbe, er habe die Aussagen zum Drogenkonsum auf Anraten zweier Anwälte gemacht, fehlt es bereits an einer weiteren Glaubhaftmachung, wie bspw. eidesstattliche Versicherungen der Anwälte, die Anlass geben könnte, dem Vortrag des Klägers überhaupt weiter nachzugehen. Dass sich in der Haft keine Anhaltspunkte für eine Suchtmittelproblematik des Klägers ergeben haben, kann darauf beruhen, dass der Kläger – wie das Landgericht ausgeführt hat – zu einem kontrollierten Umgang fähig ist, den er an seine jeweiligen finanziellen Möglichkeiten anpassen konnte. Im Übrigen war auch dieser Umstand dem Landgericht bekannt, wie sich aus seinen Ausführungen auf Seite 93 des Urteils ergeben.

Insgesamt wertet das Gericht die Angaben des Klägers bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände als Schutzbehauptung, um im Besitz der Fahrerlaubnis zu bleiben.

2. Die Verpflichtung zur unverzüglichen Ablieferung des Führerscheins folgt aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV und ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Androhung des Zwangsgeldes beruht auf §§ 11, 14, 17 Abs. 1 bis 4 BremVwVG. Die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor. Rechtsfehler sind nicht erkennbar. Auch die Gebühren- und Auslagenfestsetzung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 6a Abs. 1 und 2 StVG i.V.m. § 1 Abs. 1 GebOSt sowie Nr. 206 der Anlage zu § 1 GebOSt. Es ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich, dass die festgesetzte Verwaltungsgebühr außer Verhältnis zum entstandenen Personal- und Sachaufwand stünde.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

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