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Einspruchsverwerfung § 74 Abs. 2 OWiG – Gericht muss Entschuldigungsgründen berücksichtigen

BayObLG – Az.: 201 ObOWi 1555/22 – Beschluss vom 02.02.2023

In dem Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeit erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht – 1. Senat für Bußgeldsachen – am 2. Februar 2023 folgenden Beschluss

I. Auf den Antrag des Betroffenen wird dessen Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Kelheim vom 24.06.2022 zugelassen.

II. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das in Ziffer I. genannte Urteil aufgehoben.

III. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Kel-heim zurückverwiesen.

Zusammenfassung

Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Kelheim vom 24. Juni 2022 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung zurückzuverweisen, da dem Betroffenen das rechtliche Gehör nicht gewährt wurde. Das Amtsgericht hat den Terminsverlegungsantrag des Verteidigers nicht erörtert und auch nicht begründet, warum dem Antrag nicht entsprochen wurde. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wurde zugelassen und ist begründet. Das Urteil wird aufgehoben und die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Kelheim zurückverwiesen.

Gründe:

Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt verhängte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 02.03.2022 wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit des Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit bei schlechten Sicht- oder Wetterverhältnissen eine Geldbuße in Höhe von 100 Euro. Den Einspruch des Betroffenen verwarf das Amtsgericht Kelheim gemäß § 74 Abs. 2 OWiG mit Urteil vom 24.06.2022. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den er – wie auch die damit vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde (§ 80 Abs. 3 Satz 2 OWG) – unter anderem mit der Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör begründet. Durch die rechtsfehlerhafte Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG sei ihm die Möglichkeit genommen worden, in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger vorbringen zu lassen, dass vorliegend nicht von einem Verstoß gegen § 3 Abs. 1 StVO, sondern allenfalls von einem Verstoß gegen § 30 StVO auszugehen sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Stellungnahme vom 13.12.2022 beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und das Urteil des Amtsgerichts Kelheim vom 24.06.2022 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Kelheim zurückzuverweisen.

II.

Die Sache ist entscheidungsreif. Über den Wiedereinsetzungsantrag, der nach § 342 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG vorrangig zu behandeln ist, wurde rechtskräftig entschieden.

Die im Zulassungsantrag sowie zur Begründung der Rechtsbeschwerde erhobene Gehörsrüge genügt den formellen Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG. Es ist geboten, die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.

1. Der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge liegt folgender, durch die Prozessakten bewiesener Verfahrensgang zugrunde:

Das Amtsgericht Kelheim bestimmte mit Verfügung vom 11.05.2022 (erstmals) Hauptverhandlungstermin auf den 24.06.2022, wobei die Ladungen dem Betroffenen am 13.05.2022 und seinem Verteidiger am 16.05.2022 zugegangen sind.

Mit Schriftsatz vom 16.05.2022, beim Amtsgericht per beA eingegangen am selben Tag, beantragte der Verteidiger Terminsverlegung mit der Begründung, er befinde sich in der Zeit vom 14.06.2022 bis 28.06.2022 im Urlaub. Eine Entscheidung über das Terminsverlegungsgesuch ist nicht erfolgt

Zum Hauptverhandlungstermin am 24.06.2022 erschienen weder der Betroffene noch der Verteidiger. Das Amtsgericht verwarf deshalb den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 02.03.2022 nach § 74 Abs. 2 OWiG. Das Urteil enthielt lediglich den Hinweis auf § 74 Abs. 2 OWiG, ansonsten aber keinerlei Entscheidungsgründe.

Dementsprechend fand auch der Terminsverlegungsantrag keine Erwähnung.

2. Nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist die Aufhebung eines Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs dann veranlasst, wenn es sich — wie hier — nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängt, dass das Urteil einer einschlägigen Verfassungsbeschwerde nicht standhalten würde. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass das Gericht Anträge und Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und diese insbesondere auch in seine Entscheidungen einbezieht. Diesbezüglich bestehen vorliegend durchgreifende rechtliche Bedenken, da das Amtsgericht weder das Terminsverlegungsgesuch durch Beschluss verbeschieden hat noch dieses in den Urteilsgründen erwähnt hat.

Insbesondere genügt die Urteilsbegründung nicht den Anforderungen, die an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils zu stellen sind, Danach muss ein Urteil, das den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verwirft, sich grundsätzlich mit möglichen Entschuldigungsgründen auseinandersetzen (vgl. Beck0K/Bär 37. Ed. 01.01.2023 OWiG § 80 Rn. 26). Der Richter hat mit einer die rechtliche Nachprüfung eröffnenden Begründung darzulegen, weshalb er trotz beachtlicher Hinweise für eine genügende Entschuldigung des Betroffenen diese Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben als nicht ausreichend bewertet (vgl. KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 74 Rn. 40 m.w.N.). In diesem Zusammenhang muss sich der Tatrichter auch mit einem Terminsverlegungsantrag des Verteidigers auseinandersetzen und ggf. darlegen, warum er diesem Gesuch nicht entsprochen hat (vgl. BayObLG DAR 2002, 463f.). Bei Zurückweisung eines Terminsverlegungsantrages bedarf es einer Darlegung im Urteil, warum das Interesse an möglichst reibungsloser Durchführung des Verfahrens Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Betroffenen hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2015 —111-3 RBs 200/15 bei juris). Dem Betroffenen ist es nämlich im Regelfall nicht zuzumuten, den Termin in Abwesenheit des Verteidigers wahrzunehmen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 30a m.w.N.). Eine Erörterung, aus welchen Gründen dem Terminsverlegungsgesuch nicht entsprochen wurde, war insbesondere nicht deshalb entbehrlich, weil der Verlegungsantrag von vorneherein unbegründet oder mutwillig gewesen wäre; vielmehr liegt nahe, dass ihm in Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 c) EMRK hätte entsprochen werden müssen (vgl. BayObLG 201 ObOW 1555/22 a.a.O.). Es entspricht zudem der Übung der Amtsgerichte, dass (zumindest) einem mit Sacher-wägungen begründeten ersten Terminsverlegungsgesuch des Verteidigers entsprochen wird.

In dieser Nichtberücksichtigung bzw. Nichterörterung des geschilderten Entschuldigungsgrundes (Terminsverlegungsantrag des Verteidigers) liegt bereits nicht nur ein Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht, sondern zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BayObLG a.a.O.; OLG Köln NZV 1999, 264; KK/Hadamitzky OWiG 5. Aufl. § 80 Rn. 41e). Durch die vom Gesetz nicht gedeckte Verfahrensweise der Tatrichterin blieb zudem das bei Durchführung der Hauptverhandlung zur Sache seitens der Verteidigung angekündigte Vorbringen des Betroffenen zur Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Schuldvorwurfs rechtsfehlerhaft unberücksichtigt. Auch mit der Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG wurde deshalb nicht nur gegen einfaches Verfahrensrecht verstoßen, sondern insbesondere auch dem Betroffenen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in der Sache selbst unzulässigerweise beschnitten (vgl. BayObLG, Beschl. v. 11.01.2001, Az. 2 ObOWi 607/00 bei juris).

3. Auf den Antrag des Betroffenen war daher dessen Rechtsbeschwerde gegen das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Kelheim vom 24.06.2022 zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG) und diese erweist sich aus denselben Erwägungen als begründet.

IV.

Wegen des aufgezeigten Mangels kann das Urteil keinen Bestand haben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Kelheim zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

V.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

 

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