Oberlandesgericht Brandenburg, Az.: (1 B) 53 Ss-OWi 99/16 (128/16), Beschluss vom 01.06.2016
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 4. Dezember 2015 aufgehoben.
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Landeskasse, die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt dieser selbst.
Gründe
I.
Die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg hat in der vorliegenden Bußgeldsache (AZ: …) mit Bußgeldbescheid vom 26. März 2015 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um mindesten 49 km/h, begangen mit dem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … am 8. März 2015 um 9:42 Uhr auf der BAB .. zwischen …und Anschluss …, Fahrtrichtung …, ein Bußgeld in Höhe von 160,00 € festgesetzt sowie ein Fahrverbot von 1 Monat unter Gewährung der Gestaltungsmöglichkeit nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.
In einem Parallelverfahren hat die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg (AZ: …) mit weiterem Bußgeldbescheid vom 27. Mai 2015 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um mindesten 57 km/h, begangen mit dem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … am 8. März 2015 um 9:40 Uhr auf der BAB .. bei km 76, Fahrrichtung …, ein Bußgeld in Höhe von 240,00 € festgesetzt sowie ebenfalls ein Fahrverbot von 1 Monat unter Gewährung der Gestaltungsmöglichkeit nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.
Beide Verfahren sind nach jeweiligem Einspruch des Betroffenen durch die Verwaltungsbehörde an das Amtsgericht Zossen abgegeben worden, wobei das hiesige Bußgeldverfahren das gerichtliche Aktenzeichen 11 OWi 489/15 (AG Zossen), das Parallelverfahren das Aktenzeichen 11 OWi 543/15 (AG Zossen) trägt. Beide Verfahren sind auch weiterhin getrennt geführt worden.
Im hiesigen Bußgeldverfahren hat das Amtsgericht Zossen (11 OWi 489/15) den Vorwurf aus dem Bußgeldbescheid vom 26. März 2015 als zutreffend erachtet und gegen den Betroffenen mit Urteil vom 4. Dezember 2015 auf ein Bußgeld in Höhe von 160,00 € sowie auf ein Fahrverbot von 1 Monat unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit nach § 25 Abs. 2a StVG erkannt.
In dem Parallelverfahren hat das Amtsgericht Zossen (11 OWi 543/15) mit Beschluss vom 15. September 2015, rechtskräftig seit dem 30. September 2015, das Verfahren gemäß § 206a StPO iVm. § 46 OWiG wegen Verjährung eingestellt.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 4. Dezember 2015 (11 OWi 489/15) hat der Betroffene mit dem bei Gericht am 10. Dezember 2015 angebrachten Anwaltsschriftsatz Rechtsmittel eingelegt und dieses nach der am 4. Januar 2016 erfolgten Urteilszustellung mit weiterem bei Gericht am 21. Januar 2016 eingegangenen Anwaltsschriftsatz als Rechtsbeschwerde deklariert und begründet, dabei vor allem die Einrede des Strafklageverbrauchs erhoben.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 2. Mai 2016 beantragt, das angefochten Urteil aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206a Abs. 1 StPO, § 46 OWiG einzustellen.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 79 Abs. 3 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.
2. Die Rechtsbeschwerde hat mit der Einrede des Strafklageverbrauchs Erfolg. Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 2. Mai 2016 aus:
„Die erhobene Sachrüge führt, auch wenn sie nur einzelne Punkte konkret beanstandet oder in allgemeiner Form vorgebracht worden ist, grundsätzlich zur Überprüfung des ganzen Urteils in materiell rechtlicher Hinsicht (vgl. BGHSt 21, 149; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 337 Rdn. 5) und damit auch zur Überprüfung, ob Verfahrenshindernisse vorliegen (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., Einleitung 150). Die Rechtsbeschwerde führt danach zur Einstellung des Verfahrens, weil der Verfolgung der dem Betroffenen in diesem Verfahren zur Last gelegten Tat ein Verfahrenshindernis entgegensteht.
Der Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 15. September 2015 in dem Verfahren 11 OWi 543/15, mit dem dieses Verfahren gemäß § 206 a StPO wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt wurde, entfaltet nach dem Grundsatz aus Art. 103 Abs. 3 GG eine Sperrwirkung, welche die Verfolgung des dem Betroffenen in diesem Verfahren zur Last gelegten Tatvorwurfes ausschließt.
Auch ein Beschluss kann grundsätzlich formell rechtskräftig werden, jedoch nur ein solcher, der – wie der Beschluss gemäß § 206 a StPO – mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann oder von vorneherein der Anfechtung entzogen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., Einl., Rdn. 166; BGHSt 52, 119). Er kann daher nicht deshalb wieder aufgehoben werden, weil er auf einem Irrtum über verfahrenserhebliche Tatsachen beruhte (vgl. OLG Köln NJW 81, 2208). Dies gilt nur dann nicht, wenn der Irrtum durch täuschendes Verhalten des Betroffenen selbst oder durch ein diesem zuzurechnendes Täuschungsverhalten eines Dritten verursacht worden ist, wofür es hier jedoch keine Anhaltspunkte gibt (vgl. BGHSt 52, 119).
Die dem Betroffenen in dem Bußgeldbescheid vom 26. März 2015 und in dem eingestellten Verfahren 11 OWi 543/15 AG Zossen zugrunde liegenden Bußgeldbescheid vorgeworfenen und – unzulässigerweise – in zwei gesondert gesonderten Bußgeldverfahren verfolgten Verkehrsverstöße stellen verfahrensrechtlich eine Tat i. S. des § 264 StPO dar.
Nach herrschender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung handelt es sich bei mehreren im Verlaufe einer Fahrt begangenen Verkehrsverstößen eines Kraftfahrzeugführers im Regelfall um mehrere Taten im materiellen und prozessualen Sinne (vgl. OLG Hamm VRS 111, 366; OLG Brandenburg NZV 2006, 109; OLG Köln NZV 1994, 292; OLG Düsseldorf NZV 2001, 273; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 24 StVG Rdnr. 58, 59 a). Eine einzige Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit und damit auch im prozessualen Sinne nach § 264 StPO kann ausnahmsweise dann vorliegen, wenn die einzelnen – auch unterschiedlichen – Verkehrsverstoße einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang aufweisen, dass sich der Lebensvorgang als solcher bei natürlicher Betrachtung auch für einen unbeteiligten Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt (vgl. OLG Hamm a. a. O.; OLG Brandenburg a. a. O.; OLG Düsseldorf a. a. O. und OLG Köln a. a. O.).
Ein wichtiges Kriterium für die Verneinung oder Bejahung eines einheitlichen Tatgeschehens ist der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Handlungen (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., vor § 59 Rdnr. 50 b) als auch die Frage, ob beide Verkehrsverstöße in subjektiver Hinsicht auf der gleichen Willensbildung des Betroffenen beruhen. Entscheidend für die Beurteilung, ob eine einheitliche Tat vorliegt, sind jedoch jeweils die Umstände des Einzelfalles (vgl. OLG Celle DAR 2011,407).
In Ansehung der vorgenannten Kriterien bilden die beiden dem Betroffenen zur Last gelegten Verkehrsverstöße eine einzige Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit.
Nach den Urteilsgründen befuhr der Betroffene um 09:42 Uhr mit dem PKW, amtliches Kennzeichen … die BAB … zwischen … und Anschlussstelle … Richtung … mit einer Geschwindigkeit von 169 km/h. Die zulässige Geschwindigkeit ist hier durch Zeichen 274 geregelt und beträgt 120 km/h. Nach dem Vortrag in der Rechtsbeschwerdebegründungschrift soll der im Verfahren 11 OWi 543/15 AG Zossen gegenständliche Verkehrsverstoß am selben Tag auf derselben Autobahn um 09:40 Uhr begangen worden sein. Es besteht somit zwischen den Verkehrsverstößen ein äußerst enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang. Darüber hinaus sind beide Verkehrsverstöße auch in subjektiver Hinsicht miteinander verbunden, denn beide begangenen Verstöße beruhen ersichtlich auf dem Willen des Betroffenen, die vor ihm liegende Fahrtstrecke möglichst schnell zu durchfahren. Anhaltspunkte dafür, dass die Geschwindigkeitsverstöße in unterschiedlichen Verkehrssituationen begangen wurden, liegen nicht vor.“
Der Senat tritt diesen Ausführungen bei, sie entsprechen der Sach- und Rechtslage. Wegen Strafklageverbrauch (ne bis in idem) ist das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren einzustellen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO. Da die Aufhebung des angefochtenen Urteils ausschließlich wegen eines Verfahrenshindernisses erfolgt, ansonsten das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, hat der Senat davon Abstand genommen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.