Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Kostenrückerstattung im Bußgeldverfahren: Ein Fallbericht zur Auslagenentscheidung
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was sind notwendige Auslagen in einem Bußgeldverfahren?
- Wann muss die Staatskasse die Auslagen des Betroffenen tragen?
- Welche Rechtsmittel gibt es gegen eine fehlerhafte Auslagenentscheidung?
- Was bedeutet das Willkürverbot bei Auslagenentscheidungen?
- Welche Rolle spielt die Anhörung bei der Auslagenentscheidung?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Weitere Beiträge zum Thema
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
- Datum: 27.09.2024
- Aktenzeichen: 2 BvR 375/24
- Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
- Rechtsbereiche: Ordnungswidrigkeitenrecht, Verfassungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Beschwerdeführer: Person, der ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erteilt wurde. Der Beschwerdeführer argumentiert, dass er nicht der Fahrer war und seine notwendigen Auslagen ihm zu Unrecht auferlegt wurden.
- Freie und Hansestadt Hamburg: Als Vertreterin der Staatskasse, die die erforderlichen Auslagen des Beschwerdeführers nicht tragen sollte.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Der Beschwerdeführer erhielt wegen angeblicher Geschwindigkeitsüberschreitung einen Bußgeldbescheid. Er legte Einspruch ein, da er nicht der Fahrer war, und das Verfahren wurde eingestellt, jedoch wurden seine Auslagen zu seinen Lasten entschieden. Es gab keine Anhörung des Beschwerdeführers vor der Auslagenentscheidung.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Frage, ob die Auslagenentscheidung des Amtsgerichts willkürlich war und gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, da keine Begründung für die Kostenentscheidung vorlag.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek über die Auslagen hat gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen und wird aufgehoben. Das Verfahren wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.
- Begründung: Das Gericht hätte begründen müssen, warum es von der Norm abweicht, die vorsieht, dass nach Einstellung eines Verfahrens die notwendigen Auslagen zu Lasten der Staatskasse gehen. Das Fehlen dieser Begründung lässt darauf schließen, dass die Entscheidung möglicherweise auf sachfremden Erwägungen beruhte.
- Folgen: Die Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek und des Landgerichts Hamburg werden aufgehoben. Die Freie und Hansestadt Hamburg muss dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen erstatten. Der festgelegte Gegenstandswert beträgt 10.000 Euro.
Kostenrückerstattung im Bußgeldverfahren: Ein Fallbericht zur Auslagenentscheidung
Bußgeldverfahren sind ein wesentlicher Bestandteil des Verwaltungsrechts und betreffen oftmals die Ahndung von Verkehrsverstößen oder anderen Ordnungswidrigkeiten. Im Verlauf eines solchen Verfahrens kann es zu verschiedenen Auslagenentscheidungen kommen, die regeln, wer die Kosten trägt, insbesondere wenn das Verfahren gerichtlich eingestellt wird. Die Kosten können dabei nicht nur Bußgelder, sondern auch Verfahrenskosten und Gebühren für einen Rechtsanwalt umfassen.
Wird ein Bußgeldbescheid aufgehoben oder eine Verfahrenseinstellung angeordnet, stellt sich häufig die Frage nach der Wiederherstellung der Kosten. Ein Antrag auf Erstattung der entstandenen Auslagen kann notwendig sein, um finanzielle Belastungen zu vermeiden. Im Folgenden wird ein konkreter Fall vorgestellt, der sich mit der Auslagenentscheidung nach einer gerichtlichen Einstellung eines Bußgeldverfahrens beschäftigt und auf die relevanten Aspekte eingeht.
Der Fall vor Gericht
Bundesverfassungsgericht korrigiert fehlerhafte Auslagenentscheidung im Bußgeldverfahren
Das Bundesverfassungsgericht hat die Auslagenentscheidung des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek im Fall eines Geschwindigkeitsverstoßes aufgehoben. Der Betroffene hatte einen Bußgeldbescheid über 143,75 Euro wegen überhöhter Geschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften erhalten. Nach Einspruch und Akteneinsicht konnte sein Verteidiger keine Übereinstimmung zwischen der auf dem Beweisfoto abgebildeten Person und dem Betroffenen feststellen.
Verfahrensgang und strittige Auslagenentscheidung
In der Hauptverhandlung erklärte der Verteidiger, dass der Betroffene nicht der Fahrer gewesen sei. Das Amtsgericht stellte daraufhin das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Staatskasse ein, entschied jedoch ohne Begründung, dass die notwendigen Auslagen des Betroffenen nicht von der Staatskasse zu tragen seien.
Der Betroffene erhob gegen diese Entscheidung sowohl eine Anhörungsrüge als auch eine Beschwerde. Das Amtsgericht verwarf die Anhörungsrüge ohne Begründung als unzulässig. Das Landgericht Hamburg wies die nachfolgende Beschwerde ebenfalls zurück.
Verfassungsrechtliche Bewertung
Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Auslagenentscheidung gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verstößt. Nach § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG müssen die notwendigen Auslagen des Betroffenen bei einer Verfahrenseinstellung grundsätzlich der Staatskasse auferlegt werden.
Die Auslagenentscheidung des Amtsgerichts enthielt keinerlei Begründung für die Abweichung von diesem Grundsatz. Das Gericht hatte den Betroffenen zudem nicht zur beabsichtigten Einstellung des Verfahrens und zur Auslagenentscheidung angehört. Eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG kam nicht in Betracht, da dem Betroffenen keine vermeidbaren Auslagen durch verspätetes Vorbringen entstanden waren.
Konsequenzen der Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht hob die Auslagenentscheidung auf und verwies die Sache an das Amtsgericht zurück. Die Freie und Hansestadt Hamburg muss dem Betroffenen seine notwendigen Auslagen erstatten. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wurde auf 10.000 Euro festgesetzt.
Die Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 15. September 2023 und des Landgerichts Hamburg vom 18. Januar 2024 wurden für gegenstandslos erklärt.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte von Bürgern bei Kostenentscheidungen in Ordnungswidrigkeitsverfahren: Wenn ein Gericht von der Regel abweicht, dass der Staat die Auslagen des Betroffenen tragen muss, muss es diese Entscheidung zwingend begründen. Ein Gericht muss den Betroffenen zudem vor einer für ihn nachteiligen Auslagenentscheidung anhören. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn das Verfahren eingestellt wird. Gegen unbegründete Auslagenentscheidungen können Betroffene erfolgreich Rechtsmittel einlegen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie von einem Ordnungswidrigkeitsverfahren betroffen sind und das Gericht das Verfahren einstellt, müssen normalerweise Ihre Anwaltskosten und andere notwendige Auslagen von der Staatskasse übernommen werden. Entscheidet das Gericht anders, muss es Sie vorher dazu anhören und seine Entscheidung nachvollziehbar begründen. Fehlt diese Begründung, können Sie dagegen vorgehen – auch wenn die Entscheidung eigentlich nicht anfechtbar ist. Sie haben dann gute Chancen, dass die Entscheidung aufgehoben wird und Sie Ihre Auslagen erstattet bekommen.
Benötigen Sie Hilfe?
Komplexe Kostenentscheidungen in Ordnungswidrigkeitsverfahren erfordern häufig eine sorgfältige rechtliche Prüfung, besonders wenn das Gericht von der üblichen Kostenübernahme durch die Staatskasse abweicht. Unsere Anwälte verfügen über langjährige Erfahrung mit erfolgreichen Rechtsmitteln gegen unbegründete Auslagenentscheidungen und unterstützen Sie dabei, Ihre rechtlichen Interessen durchzusetzen. In einem persönlichen Gespräch analysieren wir Ihre individuelle Situation und zeigen Ihnen konkrete Handlungsoptionen auf. ✅ Fordern Sie unsere Ersteinschätzung an!
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was sind notwendige Auslagen in einem Bußgeldverfahren?
Als notwendige Auslagen gelten in einem Bußgeldverfahren alle Kosten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich sind.
Anwaltskosten als zentrale Auslagen
Anwaltskosten werden als notwendige Auslagen anerkannt, wenn die Hinzuziehung eines Rechtsbeistands angemessen war. Dies trifft besonders bei komplexeren Fällen oder bei drohenden empfindlichen Rechtsfolgen wie einem Fahrverbot zu. Die Anwaltsgebühren richten sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz und sind in der Regel vollständig erstattungsfähig.
Weitere erstattungsfähige Kosten
Gerichtskosten fallen ebenfalls unter die notwendigen Auslagen, wenn das Verfahren eingestellt oder der Betroffene freigesprochen wird. Hierzu gehören auch die Auslagen für Zeugen und Sachverständige, die das Gericht geladen hat.
Fahrtkosten zum Gericht und Gutachterkosten können ebenfalls als notwendige Auslagen anerkannt werden, sofern sie im direkten Zusammenhang mit dem Verfahren stehen.
Einschränkungen der Erstattungsfähigkeit
Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten mit Bußgeldern unter 60 Euro werden Anwaltskosten in der Regel nicht als notwendige Auslagen anerkannt. In solchen Fällen geht die Rechtsprechung davon aus, dass eine Verteidigung ohne anwaltliche Hilfe zumutbar ist.
Die Erstattung der notwendigen Auslagen erfolgt grundsätzlich durch die Staatskasse, wenn das Verfahren eingestellt wird oder ein Freispruch erfolgt. Eine Ausnahme besteht, wenn der Betroffene die Einleitung des Verfahrens vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat.
Voraussetzungen für die Erstattung
Für die erfolgreiche Geltendmachung der notwendigen Auslagen müssen Sie alle Belege sorgfältig aufbewahren. Die Entscheidung über die Notwendigkeit und Angemessenheit der Auslagen trifft das Gericht oder die Behörde im jeweiligen Einzelfall.
Bei einer Verfahrenseinstellung haben Sie grundsätzlich Anspruch auf Erstattung der notwendigen Auslagen. Eine Versagung dieser Erstattung bedarf einer besonderen Begründung und darf nicht pauschal erfolgen.
Wann muss die Staatskasse die Auslagen des Betroffenen tragen?
Die Staatskasse muss Ihre notwendigen Auslagen in einem Bußgeldverfahren grundsätzlich dann tragen, wenn das Verfahren eingestellt wird oder Sie einen Freispruch erhalten. Dies gilt allerdings erst nach Erlass eines Bußgeldbescheids.
Voraussetzungen für die Kostenübernahme
Bei einer Verfahrenseinstellung haben Sie einen Anspruch auf Erstattung Ihrer notwendigen Auslagen durch die Staatskasse. Wenn Sie beispielsweise einen Anwalt eingeschaltet haben und das Verfahren später eingestellt wird, übernimmt die Staatskasse diese Kosten.
Ausnahmen von der Erstattungspflicht
Die Staatskasse muss Ihre Auslagen nicht erstatten, wenn Sie die Kosten durch Ihr eigenes Verhalten verursacht haben. Dies ist etwa der Fall, wenn Sie entlastende Umstände nicht rechtzeitig vorgebracht haben. Bei Bagatellbußgeldern unter zehn Euro werden die Anwaltskosten ebenfalls nicht erstattet, es sei denn, die Rechtslage war besonders kompliziert.
Erstattungsfähige Auslagen
Als notwendige Auslagen gelten insbesondere:
- Anwaltskosten nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
- Fahrtkosten zu Gerichtsterminen
- Gutachterkosten, sofern diese für die Verteidigung erforderlich waren
Die Auslagen müssen dabei angemessen und für Ihre Rechtsverteidigung erforderlich gewesen sein. Wenn Sie einen Anwalt einschalten, werden in der Regel die gesetzlichen Gebühren vollständig erstattet.
Welche Rechtsmittel gibt es gegen eine fehlerhafte Auslagenentscheidung?
Bei einer fehlerhaften Auslagenentscheidung stehen Ihnen verschiedene Rechtsmittel zur Verfügung, die sich nach der Art des Verfahrens und der Entscheidung richten.
Rechtsmittel nach Einstellung des Verfahrens
Wenn das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt wurde, können Sie gegen eine fehlerhafte oder fehlende Auslagenentscheidung eine außerordentliche Beschwerde einlegen. Diese Form des Rechtsbehelfs ist besonders wichtig, da reguläre Rechtsmittel in diesem Fall ausgeschlossen sind.
Fristen und Formalitäten
Die Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels beträgt zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung. Der Antrag muss schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung getroffen hat.
Besonderheiten bei Ermessensentscheidungen
Wenn das Gericht von der grundsätzlichen Regel der Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 1 StPO abweicht, muss dies ausdrücklich begründet werden. Eine fehlende oder mangelhafte Begründung kann einen Verstoß gegen das Willkürverbot darstellen.
Verfassungsrechtlicher Rechtsschutz
Sollten die regulären Rechtsmittel erfolglos bleiben, steht Ihnen der Weg einer Verfassungsbeschwerde offen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Auslagenentscheidung willkürlich erscheint oder nicht nachvollziehbar begründet wurde.
Wenn Sie einen Fehler in der Auslagenentscheidung entdecken, sollten Sie umgehend handeln. Eine sorgfältige Dokumentation des Sachverhalts und die Einhaltung der Fristen sind dabei von entscheidender Bedeutung.
Was bedeutet das Willkürverbot bei Auslagenentscheidungen?
Das Willkürverbot schützt Sie als Betroffenen vor sachlich nicht nachvollziehbaren Auslagenentscheidungen in Bußgeldverfahren. Wenn ein Gericht von der gesetzlichen Grundregel abweicht, dass bei Einstellung eines Verfahrens die Staatskasse Ihre notwendigen Auslagen zu tragen hat, muss es diese Entscheidung ausführlich begründen.
Grundsätzliche Regelung
Bei einer Verfahrenseinstellung haben Sie als Betroffener normalerweise Anspruch darauf, dass die Staatskasse Ihre notwendigen Auslagen übernimmt. Dies ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG.
Begründungspflicht bei Abweichungen
Möchte ein Gericht von dieser Regel abweichen, muss es sein Ermessen erkennbar ausüben und die Gründe dafür nachvollziehbar darlegen. Eine bloße Wiederholung des Gesetzestextes reicht nicht aus. Fehlt eine solche Begründung, liegt ein Verstoß gegen das Willkürverbot vor.
Rechtliche Konsequenzen
Ein Verstoß gegen das Willkürverbot macht die Auslagenentscheidung angreifbar. Sie können in diesem Fall Rechtsmittel einlegen. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass eine Auslagenentscheidung dann willkürlich ist, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar erscheint und sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht.
Praktische Bedeutung
Wenn Sie in einem Bußgeldverfahren freigesprochen werden oder das Verfahren eingestellt wird, prüfen Sie die Auslagenentscheidung genau. Enthält sie keine nachvollziehbare Begründung, warum Sie Ihre Auslagen selbst tragen sollen, verstößt dies gegen das Willkürverbot. Eine Nachholung oder Ergänzung der Auslagenentscheidung durch die Behörde ist nicht zulässig – es bleibt nur die Möglichkeit, den zulässigen Rechtsbehelf einzulegen.
Welche Rolle spielt die Anhörung bei der Auslagenentscheidung?
Die Anhörung ist ein verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht, das bei Auslagenentscheidungen in Bußgeldverfahren zwingend beachtet werden muss. Wenn ein Gericht ein Bußgeldverfahren einstellt und über die Auslagen entscheidet, müssen Sie als Betroffener die Gelegenheit erhalten, sich sowohl zum Sachverhalt als auch zur Rechtslage zu äußern.
Bedeutung der Anhörung
Eine Auslagenentscheidung ohne vorherige Anhörung verstößt gegen das Willkürverbot des Grundgesetzes. Das Gericht muss Ihre Ausführungen zur Kenntnis nehmen und bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Besonders wichtig ist dies, wenn das Gericht von der gesetzlichen Regel abweichen möchte, nach der die Staatskasse Ihre notwendigen Auslagen tragen muss.
Folgen einer unterlassenen Anhörung
Wenn Sie nicht angehört wurden, können Sie eine Anhörungsrüge erheben. Eine ohne Anhörung getroffene Auslagenentscheidung zu Ihren Lasten ist rechtswidrig, wenn sie nicht ausreichend begründet wurde. Eine formelhafte Begründung, wie etwa der Hinweis auf die „Sach- und Rechtslage“, reicht nicht aus.
Praktische Durchführung
Die Anhörung kann schriftlich oder mündlich erfolgen. In der Regel erhalten Sie die Gelegenheit, sich innerhalb einer bestimmten Frist zu der beabsichtigten Entscheidung zu äußern. Sie können in dieser Zeit Ihre Position darlegen und Gründe vorbringen, warum die Staatskasse Ihre Auslagen tragen sollte.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Willkürverbot
Ein fundamentales Verfassungsprinzip aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, das staatliche Stellen zu sachlich begründeten und nachvollziehbaren Entscheidungen verpflichtet. Es verbietet willkürliches, also sachlich nicht gerechtfertigtes Handeln von Behörden und Gerichten. Willkür liegt vor, wenn eine Entscheidung nicht nachvollziehbar begründet ist oder von geltenden Rechtsgrundsätzen ohne triftigen Grund abweicht. Ein typischer Verstoß ist etwa eine gerichtliche Entscheidung ohne jede Begründung.
Bußgeldbescheid
Ein behördlicher Bescheid, mit dem eine Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Er wird von einer Verwaltungsbehörde erlassen und enthält neben der Geldbuße auch die Begründung des Vorwurfs. Gegen einen Bußgeldbescheid kann innerhalb von zwei Wochen Einspruch eingelegt werden (§ 67 OWiG). Dadurch wird eine gerichtliche Überprüfung ermöglicht.
Anhörungsrüge
Ein Rechtsbehelf, mit dem ein Verfahrensbeteiligter geltend macht, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde. Der Betroffene muss dabei darlegen, dass das Gericht seinen Vortrag nicht ausreichend berücksichtigt hat. Die Rüge gibt dem Gericht die Möglichkeit, einen Gehörsverstoß selbst zu korrigieren, bevor weitere Rechtsmittel eingelegt werden.
Auslagenentscheidung
Die gerichtliche Entscheidung darüber, wer die im Verfahren entstandenen Kosten zu tragen hat. Dazu gehören Gerichtskosten, Anwaltskosten und sonstige notwendige Auslagen. Bei Verfahrenseinstellung trägt grundsätzlich die Staatskasse die Kosten (§ 467 StPO). Eine Abweichung davon muss das Gericht nachvollziehbar begründen.
Ordnungswidrigkeit
Ein rechtswidriges, aber nicht kriminelles Verhalten, das mit einer Geldbuße geahndet wird (§ 1 OWiG). Im Unterschied zu Straftaten handelt es sich um minderschwere Rechtsverstöße wie Verkehrsverstöße. Die Verfolgung erfolgt durch Verwaltungsbehörden, nicht durch die Staatsanwaltschaft. Ein Beispiel ist das Überfahren einer roten Ampel.
Verfahrenseinstellung
Die Beendigung eines Bußgeldverfahrens ohne Verurteilung nach § 47 OWiG. Sie erfolgt etwa bei mangelndem Tatnachweis oder geringer Schuld. Mit der Einstellung wird das Verfahren beendet, ohne dass eine Geldbuße verhängt wird. Die Verfahrenskosten trägt dann in der Regel die Staatskasse.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz (GG): Dieser Artikel sichert das Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz und schützt vor Diskriminierung. Er verpflichtet den Staat, alle Bürger gleich zu behandeln und ihre Rechte zu wahren. Im vorliegenden Fall betrifft dies die Auslagenentscheidung des Amtsgerichts, da die unzureichende Begründung und die abweichende Entscheidung von der Rechtsnorm den Beschwerdeführer in seinem Recht auf einen fairen Prozess und Gleichbehandlung beeinträchtigen.
- § 47 Absatz 2 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG): Dieser Paragraph regelt die Einstellung von Ordnungswidrigkeitenverfahren, wenn die Verurteilung nicht möglich ist. Er ermöglicht es dem Gericht, Entscheidungen über die Kosten und Auslagen zu treffen. In diesem Fall wurde das Verfahren ohne Anhörung des Beschwerdeführers eingestellt, was als mangelnde Berücksichtigung seiner Rechte aufgefasst werden kann, da die Kostenentscheidung keine Begründung erhielt.
- § 33a Strafprozessordnung (StPO) in Verbindung mit § 46 Absatz 1 OWiG: Diese Vorschriften regeln die Möglichkeit der Überprüfung von Kostenentscheidungen in bestimmten Verfahrensszenarien. Ihre Relevanz für den Fall liegt darin, dass trotz der vermeintlichen Unanfechtbarkeit der Entscheidung Raum für eine Überprüfung besteht, insbesondere wenn die Anhörung des Betroffenen versäumt wurde, was hier der Fall war.
- § 90 Absatz 2 Satz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG): Dieser Paragraph beschreibt, welche Arten von Beschwerden vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden können. Er ist relevant, da die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers als zulässig erkannte und demzufolge rechtskräftig bearbeitet werden musste, wodurch die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur Anfechtung der Entscheidung gewährleistet sind.
- § 467 Absatz 1 Strafprozessordnung (StPO): Diese Regelung betrifft die Grundsätze der Kostenentscheidung in Strafverfahren. Sie legt fest, unter welchen Umständen eine Kostenübernahme durch den Staat erfolgen kann. Im vorliegenden Fall wurde die Abweichung von diesen Grundsätzen ohne Umsetzung der notwendigen rechtlichen Vorgaben als willkürlich eingestuft, was zu einer unzulässigen Benachteiligung des Beschwerdeführers führte.
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BVerfG – Az.: 2 BvR 375/24 – Beschluss vom 27.09.2024
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