Interpretation des Gesetzes für Probefahrten mit roten Kennzeichen
Im Zuge einer juristischen Auseinandersetzung wurde die Privilegierung von roten Kennzeichen im Rahmen von Probefahrten innerhalb einer Stadt erörtert. Das Hauptproblem war die Frage, ob die Unterbrechung einer Probefahrt zur Essensaufnahme oder Abholung die gesetzlich gewährten Privilegien des § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV außer Kraft setzt. Der Fall bringt diese rechtliche Grauzone in den Vordergrund und stellt die bisherige Rechtsprechung auf den Prüfstand.
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Übersicht
Hintergründe des Falles
In diesem speziellen Fall hat das Amtsgericht die Schilderungen des Beschuldigten, die Probefahrt für eine Essenspause unterbrochen zu haben, für unwiderlegbar erklärt. Daraufhin wurden ihm die Privilegien, die ihm durch den § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV gewährt wurden, aberkannt. Damit stellt sich die Frage, ob eine Unterbrechung der Probefahrt aus nicht fahrzeugbezogenen Gründen zu einem Verlust der Privilegierung führt. Eine Frage, die bisher von keinem Oberlandesgericht entschieden wurde.
Das Urteil und seine Auswirkungen
Der Fall ist bemerkenswert, da er eine rechtliche Grauzone berührt, die noch nicht in der Rechtsprechung abgedeckt ist. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte zwar schon über Fahrten mit roten Kennzeichen entschieden, die einem anderen Zweck als in § 16 FZV genannt dienten. Jedoch war der dortige Fall anders gelagert, da der Betroffene zu einem Kino gefahren war. In unserem Fall ging es um eine Unterbrechung der Probefahrt aufgrund persönlicher Bedürfnisse.
Die Bedeutung des Spannungsverhältnisses
Die Zulässigkeit von Fahrten unter Verwendung von roten Kennzeichen muss eng ausgelegt werden. Vor allem in Anbetracht des Spannungsverhältnisses zwischen dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit und den praktischen Bedürfnissen der Kaufleute und ihrer Kunden. Unterbrechungen einer Probefahrt sollten auf das notwendige Maß beschränkt bleiben und den Charakter der Fahrt nicht verändern. Aus den Urteilsgründen geht jedoch nicht hervor, warum eine Unterbrechung zur Essensaufnahme oder Abholung notwendig wäre.
Auswirkungen auf künftige Fälle
Dieses Urteil könnte Auswirkungen auf künftige Entscheidungen in ähnlichen Fällen haben. Wer während einer Probefahrt innerhalb einer Stadt pausiert, um Essen zu holen oder sich zu versorgen, muss mit dem Verlust der Privilegien rechnen. Diese Sachlage begründet keineswegs die Notwendigkeit einer Unterbrechung. Daher wird dieses Urteil einen wichtigen Einfluss auf die Interpretation von § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV und die zukünftige Rechtsprechung in Bezug auf Probefahrten mit roten Kennzeichen haben.
Das vorliegende Urteil
KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 189/20 – 162 Ss 73/20 – Beschluss vom 17.09.2020
Auf Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 29. Juni 2020 zugelassen.
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seiner Rechtsbeschwerde zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den mehrfach verkehrsrechtlich vorbelasteten Betroffenen am 29. Juni 2020 wegen des Verstoßes gegen die Notwendigkeit der Zulassung von Kraftfahrzeugen in Tateinheit mit Parken im absoluten Halteverbot zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt.
Das Gericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Betroffene fuhr am 26.6.2019 um 18.15 Uhr mit dem PKW, das – wie ihm bewusst war – lediglich über das rote Kurzzeitkennzeichen B – xxx verfügte, zu einem Restaurant in der H.-straß in B., weil er sich dort etwas zu essen holen wollte bzw. dort etwas essen wollte. Er stellte das Fahrzeug an der genannten Anschrift im absoluten Halteverbot ab und begab sich ins Restaurant.
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung führt das Gericht weiter aus:
Bei der Fahrt zum Restaurant handelte es sich – unabhängig davon, ob der Betroffene sich dort Essen holen wollte oder ob er das Essen dort verzehren wollte – nicht um eine privilegierte Fahrt nach § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV und damit um ein Inbetriebnehmen ohne die erforderliche Zulassung. Dies gilt … auch dann, wenn sich der Betroffene – was nicht zu widerlegen ist – eigentlich auf einer Probefahrt war. In diesem Fall hätte er das Fahrzeug zunächst zum Autohandel zurückbringen müssen.
Das Gericht führt dann weiter sinngemäß aus, dass der vom Betroffenen genannte Grund für die Unterbrechung der Probefahrt – Essen holen oder Essen gehen – nicht im Zusammenhang mit einem nach § 16 Abs. 1 Satz 2 FZV anerkannten Fahrzweck stehe. Es sich daher auch nach dieser Sachlage nicht um eine privilegierte Fahrt nach § 16 FZV gehandelt habe.
Der Betroffene hat gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel eingelegt und einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts gestellt. Er trägt im Wesentlichen vor, dass es sich lediglich um eine Unterbrechung der Probefahrt gehandelt habe, die den Charakter der Fahrt nicht in Frage gestellt habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer Zuschrift vom 24. August 2020 die Verwerfung des Antrages auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mangels Vorliegens eines Zulassungsgrundes beantragt. Auch habe das Oberlandesgericht Düsseldorf die Rechtsfrage bereits entschieden (vgl. OLG Düsseldorf NJW 2011, 3176).
II.
1. Auf den zulässigen Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde zugelassen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG).
Eine Rechtsbeschwerde kann zur Fortbildung des Rechts dann zugelassen werden, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen (BGHSt 24, 15; OLG Frankfurt, Beschluss vom 01. Juli 2019 – 2 Ss-OWi 1077/18 –, juris; OLG Bamberg DAR 2011, 212; OLG Hamm VRS 56, 42).
Das ist vorliegend der Fall.
Die Rechtsfrage, ob die Unterbrechung einer innerörtlichen Probefahrt die Privilegierung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV entfallen lässt, ist entscheidungserheblich, weil das Amtsgericht die Darstellung des Betroffenen, er habe die Probefahrt im Stadtgebiet zwecks Aufnahme oder Abholens von Essen unterbrochen, für unwiderlegbar gehalten und dem Betroffenen aufgrund der zweckfremden Unterbrechung die Privilegierung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV versagt hat. Die Rechtsfrage ist abstraktionsfähig und nicht nur eine Frage des Einzelfalls. Sie ist auch klärungsbedürftig, wobei es nicht – wie der Verteidiger meint – darauf ankommt, dass sich der Senat zu dieser Frage noch nicht geäußert hat, sondern ob die Frage bereits obergerichtlich entschieden worden ist.
Zwar hat sich das Oberlandesgericht Düsseldorf zu Fahrten mit einem roten Kurzzeitkennzeichen die einem anderen Zweck verfolgten, geäußert und entschieden, dass die Privilegierung entfällt, wenn die Fahrt mit einem roten Kurzzeitkennzeichen nicht einem in § 16 FZV genannten Zweck gedient hat. Im dortigen Fall war der Betroffene mit einem mit einem roten Kennzeichen versehenen Fahrzeug zu einem Kino gefahren. Der ausschließliche Zweck der Fahrt diente dem Kinobesuch. Von dieser Konstellation weicht der vorliegende Fall, bei dem es um die Klärung geht, ob auch eine Unterbrechung einer innerstädtischen Probefahrt die Vergünstigung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV entfallen lässt, ab.
Diese Fragestellung ist – soweit ersichtlich – noch nicht von einem Oberlandesgericht entschieden worden. Selbst wenn der Senat der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft folgte – es liege bereits eine obergerichtliche Entscheidung vor -, stünde dies der Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts jedenfalls dann nicht entgegen, wenn – wie vorliegend – durch eine erneute obergerichtliche Entscheidung die Rechtsprechung weiter untermauert und gefestigt wird (st. Rspr. stellv. OLG Frankfurt a.a.O.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 3. November 2008 – 1 Ss (OWi) 218 Z/03 – juris; OLG Köln VRS 86, 319; OLG Düsseldorf VRS 86, 202 (203); KG VRS 82, 206; Seitz/Bauer in Göhler OWiG 17. Aufl., § 80 Rn. 3; aA Hadamitzky in KK-OWiG 5. Aufl., § 80 Rn. 37).
2. Die zugelassene Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Erfolg bleibt ihr versagt.
a) Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.
§ 16 Abs. 1 Satz 1 FZV regelt die Voraussetzungen, unter denen Kraftfahrzeuge ohne Zulassung und ohne eine EG-Typgenehmigung, nationale Typgenehmigung oder Einzelgenehmigung mit rotem Kennzeichen zu Prüfungs-, Probe- und Überführungsfahrten in Betrieb gesetzt werden dürfen.
Eine Probefahrt ist nach der Legaldefinition in § 2 Nr. 23 FZV dann anzunehmen, wenn eine Fahrt unternommen wird mit dem Ziel, die Leistung und Gebrauchsfähigkeit von Kraftwagen festzustellen. Das kann von Herstellern, Händlern, Inhabern von Werkstätten oder auch Kaufinteressenten geschehen (vgl. BGH NJW 1974, 1558; OLG Köln VersR 2010, 1309).
Der Verordnungsgeber trägt mit dieser Norm dem Anliegen von Kraftfahrzeugherstellern, Kraftfahrzeugteileherstellern, Kraftfahrzeugwerkstätten und Kraftfahrzeughändlern, Fahrzeuge für kurze Zeit im öffentlichen Straßenverkehr nutzen zu müssen, ohne jeweils vorher ein Zulassungsverfahren durchzuführen, Rechnung. Die Zuteilung eines roten Dauerkennzeichens entlastet den genannten Personenkreis, der als Gewerbetreibender mit einer Vielzahl von nicht zugelassenen Kraftfahrzeugen zu tun hat, in jedem Einzelfall bei der Zulassungsstelle einen Antrag auf Erteilung eines Kennzeichens stellen zu müssen. Mit dieser Vorschrift wird der betroffene Personenkreis privilegiert, dessen praktische und wohl auch wirtschaftlichen Bedürfnisse in einem Spannungsfeld zum öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit stehen.
Vor dem Hintergrund sind die zulässigen Fahrtzwecke unter Verwendung des roten Kennzeichens eng auszulegen.
Mit dem am 01.01.2018 eingeführten § 16 Abs. 1 Satz 2 FZV wird klargestellt, dass notwendige Fahrten zum Tanken und zur Außenreinigung anlässlich solcher Fahrten nach Satz 1 sowie für notwendige Fahrten zum Zwecke der Reparatur oder Wartung der betreffenden Fahrzeuge ebenfalls mit roten Kennzeichen durchgeführt werden dürfen. Diese Fahrzwecke können auch ausschließlicher Anlass für die Fahrt sein, sofern er in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Probefahrt steht und durch diese direkt veranlasst ist (BR Drs 770/16, S. 113). Diese Fahrten müssen stets notwendig und im konkreten Einzelfall erforderlich sein. Sie müssen nach der Vorstellung des Verordnungsgebers zur nächstgelegenen geeigneten Einrichtung erfolgen und auf direktem Weg durchgeführt werden (BR Drs 770/16, a.a.O.).
Daraus folgt, dass ein strenger Maßstab an die Prüfung der Erforderlichkeit der Ausdehnung der zulässigen Fahrzwecke anzulegen ist (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer Verkehrsrecht, 45. Aufl. § 16 Rn. 23a; Weiß in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 16 FZV (Stand: 08.12.2017), Rn. 12). Zwar können nach der Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 30.03.1967 – II ZR 134/64 -, juris, wobei diese Rechtsprechung zu dem § 28 StVZO a.F. ergangen ist, der jedoch regelungsidentisch mit dem § 16 FZV (dazu OLG Düsseldorf a.a.O.) ist) mit einer Fahrt zu einem privilegierten Zweck auch weitere Zwecke, etwa geschäftlicher oder persönlicher Art, verfolgt oder verbunden werden. Die Fahrt muss aber immer durch die Absicht des privilegierten Zwecks veranlasst und ihm zu dienen bestimmt sein. Die Grenze verläuft demnach dort, wo der wahre Zweck der Fahrt verschleiert wird und die nach § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV begünstigte Fahrt lediglich als Deckmantel dient.
Dieser Maßstab gilt auch für eine Unterbrechung einer solchen Fahrt. Denn gerade vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses zwischen dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit und den praktischen Bedürfnissen für die ordentlichen Kaufmänner und ihren Kunden sind Unterbrechungen einer Probefahrt auf das notwendige Maß zu beschränken und dürfen den Charakter der Fahrt nicht verändern.
Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Unterbrechung ergeben sich aus den Urteilsgründen nicht. Sorgt der Betroffene während einer Probefahrt im Stadtgebiet, die das Ziel hat, die Leistung und Gebrauchsfähigkeit des Fahrzeuges zu testen, für sein leibliches Wohl, in dem er das Fahrzeug vor einem Restaurant parkt und in dem Lokal entweder Essen abholt oder dort zum Essen geht, so begründet diese Sachlage nicht im Ansatz die Notwendigkeit einer Unterbrechung. Vielmehr vermittelt sein Verhalten den Eindruck, dass er ein Fahrzeug mit einem roten Kennzeichen nutzte, um seinem (spontanen) Verlangen nach Essen nachzugeben. Der Betroffene kann nicht die Privilegierung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV erfolgreich für sich in Anspruch nehmen. Vielmehr spiegelt ein solches Verhalten eine ausufernde und den wahren Zweck künstlich verschleiernde Gebrauchspraxis roter Kennzeichen wieder.
Da die Unterbrechung der innerstädtischen Probefahrt zum Einnehmen oder Abholen von Essen nicht notwendig war, entfällt die Privilegierung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 FZV.
Zu dieser Fahrt ohne Zulassung nach § 3 Abs. 1 FZV stand das Parken im Halteverbot in Tateinheit gemäß § 19 Abs. 1 OWiG.
b) Die Festsetzung der Geldbuße weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.