Oberstes Bayerisches Landesgericht – Az.: 202 ObOWi 734/21 – Beschluss vom 06.07.2021
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 17.09.2018 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die Anordnung des Fahrverbots entfällt.
II. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
III. Die Kosten des Rechtsmittels fallen dem Betroffenen zur Last; jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt. Die im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen Auslagen und die dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen werden zur Hälfte der Staatskasse auferlegt; im Übrigen hat der Betroffene seine Auslagen selbst zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 17.09.2018 wegen des fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h zu einer Geldbuße von 160 EUR und verhängte gegen ihn ein mit einer Anordnung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 10.06.2021 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 17.09.2018 mit der Maßgabe als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen, dass das Fahrverbot von einem Monat als vollstreckt gilt.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge dahingehend Erfolg, als das gegen den Betroffenen verhängte Fahrverbot wegfällt. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
1. Zur Begründung wird hinsichtlich des Schuldspruchs und der diesen tragenden Beweiswürdigung auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 10.06.2021 Bezug genommen.
2. Der Rechtsfolgenausspruch ist hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Geldbuße rechtsfehlerfrei. Dieser entspricht den in der BKatV vorgesehenen Regelsatz, von dem Abstand zu nehmen kein Anlass besteht. Allerdings begegnet die Verhängung des Fahrverbots nunmehr durchgreifenden Bedenken.
a) Zwar kommt – wovon das Amtsgericht zutreffend ausgeht – aufgrund des festgestellten Sachverhalts gegen den Betroffenen gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 zur BKatV neben einer Geldbuße von 160 EUR die Anordnung eines Fahrverbots für die Dauer eines Monats als Regelfall in Betracht, was bedeutet, dass von einem Fahrverbot nur bei Vorliegen besonderer Umstände abgesehen werden kann.
b) Allerdings kommt ein Absehen vom Fahrverbot dann in Betracht, wenn die Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsordnungsgemäß verhalten hat (vgl. OLG Hamm DAR 2011, 409). Denn das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (BVerfGE 27, 36, 42). Das Fahrverbot kann deshalb seinen Sinn verloren haben, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und der Anordnung des Fahrverbots ein erheblicher Zeitraum liegt, die hierfür maßgeblichen Umstände nicht auf einer dem Betroffenen zuzurechnenden Verfahrensverzögerung beruhen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist. Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum für das Tatgericht eröffnet. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist die Tendenz erkennbar, den Sinn des Fahrverbots in Frage zu stellen, wenn die zu ahndende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 12.11.2007 DAR 2008, 651; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. § 25 StVG Rn. 23a m.w.N.), wobei grundsätzlich auf den Zeitraum zwischen Tat und letzter tatrichterlicher Entscheidung abzustellen ist (OLG Oldenburg NStZ-RR 2011, 385; OLG Bamberg, Beschl. v. 24.09.2012 – 2 Ss OWi 1086/12). Nicht anderes kann gelten, wenn das Verfahren nach Erlass des angefochtenen Urteils in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat in ihrer Antragsschrift vom 10.06.2021 hierzu ausgeführt:
„Dennoch kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben; denn nach Erlass des angefochtenen Urteils ist das Verfahren in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK). Das Verfahren wurde zwischen dem 27.11.2018 und dem 05.01.2021 nicht in einer verfahrensförderlichen Weise betrieben, weil die Akten, von den Justizbehörden zunächst unbemerkt, in Verstoß geraten waren. Insoweit beträgt die Verzögerung etwas mehr als zwei Jahre und einen Monat. Dies hat das Beschwerdegericht auf die Sachrüge von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. nur BGH, Urt. v. 30.06.2005 – 3 StR 122/05 = BGHR StPO § 354 Abs. 1a Satz 2 Herabsetzung 1).“
Diesen Ausführungen tritt der Senat bei.
Die Verhängung des Fahrverbots kann daher keinen Bestand mehr haben.
Der Senat befindet gemäß § 79 Abs. 6 OWiG selbst in der Sache abschließend, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine erneute tatrichterliche Überprüfung Feststellungen ermöglichen würde, die die Verhängung eines Fahrverbotes noch rechtfertigen.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.
Der Schriftsatz der Verteidigung vom 05.07.2021 lag dem Senat bei seiner Entscheidung vor.